Tichys Einblick
Kompensieren durch Pädagogisieren

Beziehungskrise. Wie der Staat seine Bürger entmündigt

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich der Staat stärker ins Alltagsleben seiner Bürger eingemischt. Sie haben die Konsequenzen des Staatsversagens zu tragen. Die Staatsmacht setzt nicht nur auf Zwangsmaßnahmen. Sie mahnt, manipuliert und nötigt, legt den Bürgern nahe, was sie zu tun und zu lassen haben.

Es gab schon bessere Zeiten, in denen die Mehrheit der Bürger im Großen und Ganzen einverstanden war mit der Verteilung der Lasten und Pflichten. Der Staat als Dienstleister garantierte Sicherheit, Bildung, Recht, Energie und einiges mehr. Der Bürger konnte sich darauf verlassen und zahlte dafür. Aber heute versagt dieser Staat auf wichtigen Feldern. Es wäre eine Illusion zu glauben, mit der nächsten Wahl ließe sich das korrigieren.

I.

Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ist grundsätzlich ein gestörtes. Patriotisches Geschwätz kann niemals vertuschen, dass diese Beziehung weder herrschaftsfrei noch freiwillig ist. Selbst wer beschränkt genug ist, sein Land zu „lieben“, liebt nicht automatisch und blind den Staat. Auch die Vorstellung, der demokratische Staat wäre so etwas wie die Organisation aller Bürger, ist naiv. Die Bürokratie verselbstständigt sich, und die auf Zeit gewählten politischen Repräsentanten richten sich in ihren Privilegien ein. Beide behandeln ihre Auftraggeber wie Untergebene.

II.

Die gegenwärtige Beziehungskrise stellt sich kurz formuliert so dar: Noch nie war die Bundesrepublik so überfordert wie heute. Die veränderte kritische Weltlage und die rasche Abfolge mehrerer sich überlappender Krisen sind objektiv kaum zu bewältigen. Doch ebenso steht fest, dass der Staat den Niedergang des einst prosperierenden Gemeinwesens durch eigenes Versagen beschleunigt und verschärft. Stichworte: Energie, Bildung, Altersversorgung, Verteidigungsfähigkeit, Infrastruktur, Gesundheitssystem, die dramatischen Folgen falscher Corona-Politik. Die Liste ist noch lange nicht komplett.

III.

Bundeskanzler Helmut Schmidt verstand sich als „leitender Angestellter“ der Bundesrepublik. Als der, der die auch damals nicht einfachen Dinge (Ölkrise, Terrorismus) so gut es ging, gemanagt hat. Heute verstehen sich führende Politiker nicht als Manager, sondern als leitende Erziehungsberechtigte der Bürger. Die Regel scheint zu sein: Je inkompetenter das verantwortliche Personal, desto mehr versucht es, sein Unvermögen zu kompensieren, indem es die Bürger pädagogisiert. Je weniger der Staat den Krisen gewachsen ist, desto mehr spielt er sich als moralische Instanz auf.

IV.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich der Staat stärker ins Alltagsleben seiner Bürger eingemischt. Sie haben die Konsequenzen des Staatsversagens zu tragen. Die Staatsmacht setzt nicht nur auf Zwangsmaßnahmen. Sie mahnt, manipuliert und nötigt, legt den Bürgern nahe, was sie zu tun und zu lassen haben, sogar wie sie sich ernähren (weniger Fleisch) und waschen sollen (kurz duschen, Waschlappen verwenden). Er macht den Bürgern ein schlechtes Gewissen und sorgt dafür, dass uneinsichtiges Verhalten finanziell sanktioniert wird.

V.

Statt durch vernünftige, weitsichtige Politik Krisen vorzubeugen, gibt der Staat Abermilliarden aus, um seine Bürger ruhig zu stellen und vom eigenen Versagen abzulenken. Der aktuelle Begriff dafür lautet Doppelwumms. Auch die Metapher vom Unterhaken (Scholz) geht in diese Richtung. Schon Ludwig Erhard hatte vor dem Sozialuntertan gewarnt. Vergeblich. Die Republik ist auf dem Weg zurück zu Planwirtschaft und Kollektivismus. Doch das Volk entzieht sich keineswegs der „geistigen Bevormundung einer ebenso machthungrigen wie seelenlosen Bürokratie und Bonzokratie“ (Erhard). Es merkt noch nicht einmal, dass der Wumms früher oder später von ihm selbst bezahlt werden muss.

VI.

Fehler einzugestehen oder gar zu korrigieren, kommt für Politiker nicht in Frage. Ist jetzt halt so. Lauterbach bezeichnete gerade die Katastrophe der Kita-Schließungen kaltschnäuzig und ohne das geringste Bedauern als Fehler. Lindner verkündet öffentlich, keinen Bock mehr darauf zu haben, für die selbst als richtig erkannte Zukunft der Kernenergie weiter zu kämpfen. Es sind Armutszeugnisse einer verkommenen politischen Moral. Und genau diese doppelte Moral macht den Bürger (noch nicht viele genug) so zornig.

VII.

Wenn der Staat Emotionen schürt, statt vernünftig zu handeln, und belehrt, statt den notwendigen ideologiefreien Diskurs zu führen, nimmt er seine Bürger nicht ernst. Er entmündigt sie nicht nur materiell, sondern auch geistig. Er erklärt den Konformismus in Politik und Medien zur Bürgerpflicht. Und so gebiert das Unvermögen der politischen Klasse auch den Verlust der Freiheit.

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