Das Land liegt danieder. Die Mächtigen gipfeln sich auf. Lassen sich blenden von sich selbst. Obwohl hier alles Imitat ist, gibt es kein wahrhaftigeres Bild unserer SonnenkönigInnen als dieses von ihrem Treffen im nachgeäfften Versailles auf Herrenchiemsee. Ein Foto von historischer Wirkkraft.
I.
Angeblich zeigt das Foto eine Sitzung des bayerischen Kabinetts. (Welch groteske Übertreibung des Wortes Kabinett – Kabine, Kammer, kleines Zimmer!) Das Kabinett dient aber hier auch nur als Staffage. Geht es in diesem riesigen Saal von 13 Metern Höhe und 75 Metern Länge, sein Vorbild in Versailles damit um zwei Meter übertreffend, doch nur um die Schaustellung der zwei Personen an der Schmalseite. Alle anderen in der Tiefe des Raums sich verlierenden Personen sind nicht zu erkennen. Niemand benötigt sie, niemand nimmt sie wahr. Im Grunde taugen sie nicht einmal als Staffage. Denn die eigentliche Staffage sind die riesigen Standkandelaber und Lüster. Siebzehn Rundbogenfenster zur Gartenseite korrespondieren mit siebzehn Spiegeln zur Rechten, die die Fülle des Lichts zurückwerfen. Alles dient einem einzigen Zweck. Der Illumination von Größe. Eine Spiegelfechterei. Nichts als Anmaßung, Inszenierung.
II.
Der totalen Symmetrie – von jeher Ausdruck von Ordnung und Herrschaft – unterwerfen sich selbst die beiderseits der zentralen Achse im Vordergrund präsentierten Hauptfiguren. Die Zentralperspektive sorgt in der Kunst immer dafür, dass die Objekte im Hintergrund kleiner wirken, wohingegen die Personen im Vordergrund größer erscheinen. Genau dies ist Absicht. Vor baugleichen Tischen winden sie ihre Körper auf exakt gleiche Weise um die eigene Achse, spiegeln sich quasi im jeweils anderen und verdoppeln sich zugleich. In dieser Anordnung erscheinen ihre Unterschiede kaum noch erkennbar. Die füllige Frau in Türkis, der große Mann in Königsblau: Abbild und Vorbild. Vorbild und Abbild, einander gleich an Haltung und Bedeutung, als nähmen sie die Position ein für einen hochzeremoniellen höfischen Tanz – nur eben im Sitzen. Der doppelte Merkel, die doppelte Söder. Wer da wen nachahmt, ist nicht zu erkennen, und es spielt auch keine Rolle. Beide imitieren letztlich sich selbst. Zu betrachten soll sein nichts Geringeres als die Doppelhelix der deutschen Politik. Und das in einem Saal, der selbst ein Imitat ist. Kein Zweifel, auch dies ist Programm.
III.
Versailles, das Schloss des Sonnenkönigs, das architektonische Sinnbild des absolutistischen Gottesgnadentums, war belebt von einem riesigen, tausendköpfigen Hofstaat. Alles, was der König tat, war öffentlich. Also gab es im Schloss auch keine Privatsphäre. Sonnenkönig Ludwig XIV. war das Idol von König Ludwig II. von Bayern. Aber das nachgeahmte Versailles im Chiemsee war trotz seiner Größe als ausschließlich private Residenz geplant. Und außerdem war der Kini kein absolutistischer Monarch, sondern nur noch Gallionsfigur einer konstitutionellen Monarchie. Das muss man wissen, wenn man dieses Bild betrachtet. Wissen es auch die Betrachteten? Ludwig II. konnte nur das Abbild imitieren, aber nicht die Idee dahinter. Und Söder? Er will beides: Allein sein und Hofstaat. Normalerweise finden in diesem Saal im Sommer Konzerte statt. Die haben Söders Maßnahmen verhindert. Er besetzt statt dessen den Saal mit sich selbst – und geht zugleich auf Abstand zu seinem Hofstaat. Die demokratische Gesellschaft ist nur noch Kulisse. Auf Herrschaft von Coronas Gnaden baut Markus Söder. Obwohl niemand Maske trägt, von einigen an der Wand stehenden Lakaien abgesehen. Hofstaat auf Distanz: so muss Söders Mischform aus Louis und Ludwig misslingen. Das große Als-ob ist leicht durchschaubar.
IV.
Ein weiterer, kurioser Aspekt: Ludwig II. ließ seine Hommage an den französischen Sonnenkönig just zu einer Zeit bauen, als Bismarcks Deutschland gegen Frankreich Krieg führte. Die Deckengemälde im Spiegelsaal aber sind Kopien der Gemälde in Versailles und zeigen nichts anderes als des Sonnenkönigs militärische Siege. Ludwig II. litt wie ein Hund darunter, seine Landeskinder gegen Frankreich für nichts anderes als Preußens Gloria in den Tod schicken zu müssen. Er reiste vor und nach des von Bismarck provozierten Kriegs (siehe Emser Depesche) nach Versailles. Herrenchiemsee war von Beginn an auch politisch aus der Zeit gefallen. Es ist ein Monument des Größenwahns, aber auch ein Beweis dafür, dass es für den Kini keinen Erbfeind, sondern nur einen Erbfreund gab. Was uns das heute sagt? Söder unterwirft sich einer Sonnenkönigin, die sich ihrerseits dem derzeitigen Sonnenkönig Macron unterwirft. Es geht um zwei Billionen Euro.
V.
Auch dafür ist Herrenchiemsee ein treffendes Symbol. Niemals vollendet, war das Schloss teurer als die beiden anderen Schlossbauten Ludwigs Neuschwanstein und Linderhof zusammen. Es ruinierte die Finanzen des Landes – und führte letztlich zur Entmündigung und Absetzung des Königs. Seine wenigen, kurzen Besuche waren ungeheuer aufwändig; der Spiegelsaal musste für ihn allabendlich illuminiert und sorgsam verborgen werden, dass es sich in Wahrheit noch um einen unvollendeten Rohbau handelte. Der König täuschte sich damit selbst. Sein ganzes Leben war bestimmt von Selbsttäuschung. „Wahn! Alles Wahn“ – um sein anderes Idol Wagner zu zitieren.
VI.
So wird auch diese Inszenierung zu einem seltsam aus der Zeit gerückten Dokument der Übertreibung. Wer die Übertreibung übertreibt, parodiert. Hier parodiert Söder nicht nur den Sonnenkönig und den beim Anblick solchen Missbrauchs in seinem Grab vermutlich rotierenden Kini. Er parodiert zugleich sich selbst und die postdemokratischen Verhältnisse seiner Zeit. Da ist einer maßlos betrunken von sich selbst, maßlos süchtig nach sich selbst und lebt es hemmungslos aus. Weshalb hindert ihn keiner daran? Man darf gewiss sein, dass irgendwo in der Tiefe des Raums auch schon ein Dr. Gudden (der Psychiater, der mit Ludwig starb) lauert und sich Notizen macht.