Das offizielle Ampel-Aus ist geschafft. Endlich. Aber die Republik diskutiert über Sitten und Stil.
I.
Auf Christian Lindner gemünzt, vermisste Scholz „die nötige sittliche Reife“ in der Regierung. Das ist ein klassisches Beispiel für die verhängnisvolle Moralisierung der Politik – diesmal im Stil eines wilhelminischen Oberstudienrats. Wer so über seinen politischen Konkurrenten (und bisherigen Koalitionspartner) redet, disqualifiziert sich selbst und hat eine seltsame Vorstellung von Demokratie. Politiker sollte man generell nicht nach ihrer sittlichen Reife (was soll das überhaupt sein?) beurteilen, sondern nach ihren Resultaten. Zu bemängeln ist an Lindner, dass er viel zu lange die Ampelpolitik zuließ. Da fehlte die demokratische Reife. Moralisieren ist immer ein Zeichen für ein Versagen der Vernunft. Das einzige, was die lausige Bilanz der Ampel in milderem Licht erscheinen lassen könnte, wenn auch nicht entschuldigen, ist der Umstand, dass sie es auch noch mit dem Erbe von 16 Jahren Merkel zu tun gehabt hat. Vorausgesetzt, sie hätte sich wenigstens bemüht, die schlimmsten Versäumnisse und Fehler zu beheben. Das Gejammer über den Stil, das fällt auch jetzt wieder auf, ist typisch deutsch. Statt über den Kurs der Politik zu streiten, beschuldigt man einander eines Mangels an Moral. Wer wie Kanzler Scholz zu kritischer Einsicht und Selbstkritik nicht in der Lage ist, dem fehlt es nicht an sittlicher, sondern an professioneller Reife.
II.
Der Gipfel an Sittlichkeit ist es wohl, den Bundestag zu bitten, ihm das Vertrauen zu versagen und zugleich die Wähler um Vertrauen zu bitten. Vertrauen ist die kleinste Münze. Es ist die Minimalvoraussetzung für das Funktionieren einer Koalition. Je dicker die Koalitionsverträge sind, desto geringer ist das gegenseitige Vertrauen. Das Vertrauen der Bevölkerung steht auf einem anderen Blatt. Wer traut dem Enteignungs- und Steuerschraubenfolterstaat noch über den Weg? Da ist längst nicht nur das Vertrauen weg, sondern auch das Zutrauen, etwas könnte sich zum Besseren ändern. Nur woher soll es kommen, wenn der ganze Kurs falsch ist, weil er blindwütig einer Ideologie folgt? Wenn das Klima wichtiger ist als das Wohlergehen der Wähler. Wenn die geforderte „Moral“ mehr zählt als die Zufriedenheit der Steuerzahler.
III.
Mit wem, zum Teufel, soll Merz ernsthaft koalieren? Mit der AfD natürlich, schallt es von rechts. Wirklich? Bei einem Kanzler Merz, so Tino Chrupalla, Co-Anführer der AfD, „können wir unsere Kinder auf dem Friedhof besuchen“. Mit so einem also will Chrupalla regieren? Sein Satz ist übrigens an sittlicher Reife nicht zu unterbieten. Ehrlicher und zweckmäßiger als das voraussehbare Koalitionsgewürge wäre eine Minderheitsregierung, gezwungen, unterschiedliche Mehrheiten im ganzen Spektrum des Parlaments zu suchen.
IV.
Denn es gilt: Es ist immer falsch, wenn eine Regierung von den Rändern her Politik betreibt, wie es die linksgrüne Ampel tat, und wie es die AfD von rechts täte. Demokratie, ob es einem gefällt oder nicht, funktioniert immer nur aus der Mitte heraus. Wir haben keine Krise der Demokratie, sondern eine Krise der demokratisch gewählten politischen Institutionen. Nicht das Land, sondern die Regierenden sind unregierbar. Ganz abgesehen von ihrer Regierungsunfähigkeit.
V.
Die Angst vor einer „Machtergreifung“ ist in Deutschland so groß, dass der Kanzler nur durch die Wahl eines anderen Kanzlers abgesetzt werden kann. Aber nicht das Volk wählt ihn, sondern nur die Mitglieder des Bundestags. Das macht es kompliziert, vor allem, wenn sich ein Kanzleraspirant nicht von den „Falschen“ wählen lassen möchte. Am kompliziertesten ist vielleicht, dass kein Kanzler mehr die Macht ergreifen könnte, selbst wenn er wollte. Es reicht ja nicht einmal zur „Richtlinienkompetenz.“ Die gibt der Kanzler regelmäßig an der Garderobe des Koalitionsausschusses ab. Hierzulande wird nicht regiert, sondern koaliert.
VI.
Die Wähler dürfen sich nicht für einen Kanzlerkandidaten entscheiden, ja nicht einmal mehr zuverlässig für einen sie vertretenden Abgeordneten. Das den Wählern misstrauende Wahlsystem wurde verschlimmbessert zugunsten parteiabhängiger Listenkandidaten. Genau umgekehrt müsste eine Reform der demokratischen Spielregeln gehen: Ein klares Mehrheitswahlrecht mit ausschließlich direkt gewählten Abgeordneten wäre dem Verhältniswahlrecht entschieden vorzuziehen. Problemlose Regierungswechsel wären garantiert.