Tichys Einblick
Wissenschaft kein Verbündeter der Freiheit

Sepsis statt Skepsis. Von der Blutvergiftung der Demokratie

Zu den großen Irrtümern der Moderne zählt der Glaube, Demokratie bedeute automatisch Freiheit. So ist es nicht. Die Freiheit wird nur in Kriegszeiten von außen bedroht. In der Regel zerstören demokratische Gesellschaften ihre Freiheit selbst.

Die Opposition gegenüber dem Corona-Maßnahmeregiment, das kein Ende nehmen will, ist politisch noch immer schwach und unerwünscht. Die Mehrheits-Gesellschaft ist im „Pandemie”modus eingerastet, aus dem sie sich nicht befreien kann und nicht befreien will. Dieser Befund ist weit besorgniserregender als das Virus selbst, einschließlich seiner Mutationen. Diagnose: Unsere Demokratie leidet an einer Art Blutvergiftung. Sepsis statt Skepsis. Diese Krankheit ist schwerer zu behandeln als Covid.

I.

Zu den großen Irrtümern der Moderne zählt der Glaube, Demokratie bedeute automatisch Freiheit. So ist es nicht. Die Freiheit wird nur in Kriegszeiten von außen bedroht. In der Regel zerstören demokratische Gesellschaften ihre Freiheit selbst, weil sie Demokratie nur bei schönem Wetter ertragen. In schwierigen Zeiten werden die demokratischen Regeln Schritt für Schritt suspendiert. Denn die meisten Demokraten haben mehr Angst vor der Not als vor der Unfreiheit. Was in der Krise als Notmaßnahme konstituiert wird, bleibt bestehen. Wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, gilt demokratische Gesinnung nur noch als Störung. Es dauert dann nicht lange, bis auch die demokratischen Institutionen von Innen heraus vergiftet sind: Parlamente, Gerichte, Medien. Wir können diesen Verfallsprozess als Folge irrationaler Ängste begreifen – oder einfach als Dekadenz. Die Erosion der Freiheit wird von denen, die sich Demokraten wähnen, als Kampf gegen das Böse empfunden: Wir besiegen das Virus, den Klimawandel, wir retten die Menschheit. Wir wollen erlöst werden von allen Übeln. Auch von den Übeln der Freiheit. Hierzulande wird deshalb der tiefere Sinn der freiheitlichen Demokratie (was leider kein Pleonasmus ist) vergessen. Er besteht im Ausgleich der Interessen in größtmöglicher Selbstbestimmung möglichst aller Teilnehmer einer Gesellschaft. Man verwechselt in Deutschland jedoch Selbstbestimmung mit der Herrschaft von Stimmung. Die am lautesten von Demokratie reden, wissen Stimmungen zu schüren und zu manipulieren. Deshalb tun sie sich in Zeiten der Furcht ja so leicht. Sie sehen in Demokratie keinen Zweck, sondern nur ein Mittel zu einem ganz anderen Zweck: der Durchsetzung ihrer Dogmen.

II.

Zu den Vergiftungssymptomen der Demokratie zählt, dass aus Erfahrungen und Erkenntnissen nicht die richtigen Schlüsse gezogen werden, anders als derzeit z.B. in England und Dänemark, wo Freiheit seit jeher einen höheren Stellenwert hat. Dazu nötig wäre das Bekenntnis zu Trial and Error. Es ist nirgends zu vernehmen. Das Land ist geistig erstarrt. Seine Führung verschanzt sich hinter den eigenen Irrtümern, und hält fest an beliebigen, unhaltbaren Annahmen wie die „Inzidenz” 35. Die Widersprüche werden immer absurder, aber sie nehmen zu: Wenn künftig auch die Geimpften getestet werden müssen, weil sie ansteckend sein können, ist es widersinnig, eine Impfpflicht durch die Hintertür einzuführen. Im Gegenteil: Dann müsste das Testen erleichtert werden, statt es zu erschweren. Die Blutvergiftung unserer Demokratie ist auch daran zu erkennen, das sich der Volkskörper nicht mehr zur Wehr setzt. Obwohl sich die Frage der Freiheit an ihr entscheidet, steht die Coronapolitik nicht im Zentrum des Wahlkampfs. Das ist absurd. Aber so ist es auch in der Klimapolitik. Die alten Fehler – kopfloser Ausstieg aus der Kernenergie – werden nicht einmal in Frage gestellt. Sepsis statt Skepsis.

III.

Seit der Antike war Wissenschaft immer ein Verbündeter der Freiheit – und deshalb lange Feind der Religion. Demokratie benötigt freie Wissenschaft. Nun entpuppt sich auch dies als Illusion. In der vergifteten Demokratie wird der Glaube verbreitet, Wissenschaft habe ausschließlich dem Zweck zu dienen, den die herrschende Glaubensrichtung für gut hält. Wissenschaft ist also nur noch als Theologie zulässig. Der größte Verlierer dieser Pandemie ist die Wissenschaft selbst. Sie ist genauso korrumpiert wie die Macht. Wie konnte das geschehen? Die Mächtigen gaben vor, der Autorität der Wissenschaft zu folgen. Sie behaupteten, die Macht mit ihr zu teilen. Ein vergiftetes Angebot. Wissenschaft benötigt Unabhängigkeit und die Freiheit des Denkens, aber nicht die Erhebung in den Stand päpstlicher Unfehlbarkeit. So ließ sich die Wissenschaft als Instrument der Politik missbrauchen – und zerstörte sich damit selbst. Korrumpiert wurde sie von der maßlosen Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde, und die sie mit Bedeutung verwechselte. Dies ist das Gift in den Adern der Wissenschaft.

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