Tichys Einblick
Keine Medaillen für Reporter

Olympia: Großer Sport, kleiner Geist

In der Kategorie der „unglücklichen Verlierer“ haben die Deutschen am besten abgeschnitten. Eine Enttäuschung nach der anderen. Das sollte in einer Gesellschaft, in der sich Leistung immer weniger lohnt, nicht wundern.

Eine Woche Urlaub von der Politik sollte es sein. Vor der Olympiaglotze. Eindeutig ein Suchtverhalten. Bilanz.

I.

Ganz politikfrei waren die Spiele nie. Die Erregung um die Eröffnungsfeier. Nichts gegen ein provokatives Spiel mit der eigenen Tradition. Die mit dem Kopf unterm Arm singende Marie Antoinette aber war kein Wagnis. Mir hätte das Haupt des Propheten gefallen – wie es Regisseur Hans Neuenfels schon vor Jahren in Berlin in Mozarts Idomeneo auf der Opernbühne gezeigt hat. Warum queerer Schabernack nur mit dem christlichen Abendmahl? Weil der nichts kostet. Im schrillen Kostüm der Satire unterwirft sich die Kunst dem Zeitgeist.

II.

Warum machten Fraumänner nur beim Frauenboxen mit und nicht auch Mannfrauen bei der rhythmischen Sportgymnastik? Weil dort nichts zu gewinnen gewesen wäre. Im Sinne des Sports ist die Natur nicht gerecht. Was haben zwei Meter zwanzig große Basketballer mit Fairness zu tun? Warum werden sie überhaupt zugelassen? Oder nicht wenigstens ein eigener Wettbewerb für Normalgroße ausgetragen? Radsportler mit abnormalen Herzen haben auch ungedopt einen Wettbewerbsvorteil. Wer absolute Leistungsgerechtigkeit sucht, hat im Sport nichts verloren. Die Sache mit der algerischen Boxerin kochte nur deshalb so hoch, weil außerhalb des Sports Queerness als Ideologie betrieben wird – und am Ende die Athletin auch noch für islamistische Propaganda herhalten muss.

III.

Sport sollte nicht für politische Zwecke benutzt werden. Deshalb ist mir auch der sogenannte Medaillenspiegel ziemlich gleichgültig. In der Kategorie der „unglücklichen Verlierer“ haben die Deutschen am besten abgeschnitten. Eine Enttäuschung nach der anderen. Das sollte in einer Gesellschaft, in der sich Leistung immer weniger lohnt, nicht wundern. Siege für das eigene Land sind nice to have, aber nicht der Grund für die Faszination des Sports. Der besteht eben darin, dass es bei den meisten Sportarten nicht nur auf das Ergebnis ankommt, sondern auf Körperbeherrschung, Kraft, Eleganz, Persönlichkeit. Stabhochsprungweltrekordler Armand Duplantis begeistert nicht, weil er Schwede ist. Medaillenspiegel sind auch deshalb anachronistisch, weil ausgeprägter Individualismus in den meisten Sportarten Voraussetzung für den Sieg ist. Die gedopten Staatsathleten Chinas interessieren uns nicht, sollen sie gewinnen, so viel sie mögen.

IV.

Das Schönste an Olympia? Die Vielfalt. Zweiunddreißig Sportarten, die sonst meist im Schatten bleiben, Klettern, Skateboard, Wildwasserpaddeln, Bogenschießen, Surfen, ganz zu schweigen von Basketball (besonders in der 3×3-Version), Volleyball, Hockey oder Rugby. Diese Mannschaftssportarten sind dem Kicken mindestens ebenbürtig, wie nicht nur das atemberaubende Handballviertelfinale Deutschland-Frankreich gezeigt hat. Sie sind der Beweis, dass auf die absolute Dominanz von „König“ Fußball gut und gern verzichtet werden könnte. Es ist ein ausgemachter Skandal, dass das quotengeile öffentlich-rechtliche Fernsehen Gebührenmillionen unterm Jahr überwiegend für Fußball ausgibt und die wichtigsten Sendungen Sportschau und Sportstudio fast ausschließlich dem Fußball bis hinunter in die dritte Liga vorbehalten sind. Die Gebührensender könnten Profifußball gut und gerne den kommerziellen Sendern überlassen. Als ich einmal (anlässlich meines Buchs „Die Gefallsüchtigen“) mit dem damaligen ZDF-Verwaltungsratschef, dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, über den verfehlten Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten stritt, fiel ihm zu deren Verteidigung ein einziges Argument ein: der freie Zugang zur Fußball-Bundesliga. Das ist absurd.

V.

Warum übertragen eigentlich ARD und ZDF Olympia? Doppelter Aufwand. Wenn es schon beide machen, müssen sie sich auch vergleichen lassen. Das Erste liegt deutlich vor dem Zweiten. Es hat die besseren Experten (zum Beispiel Frank Busemann, Leichtathletik, und Andrea Petković, Tennis) und insgesamt die besseren Reporter. Unschlagbar Pferdepoet Carsten Sostmeier beim Reitsport, der allerdings, um in seiner Diktion zu bleiben, den emotionalen Sattelgurt lockern sollte. Das gilt generell: Die Reporter drehen gern durch, weil sie glauben, Entertainer zu sein. Ein Irrtum. Das Sprachniveau reicht nicht für die Medaillenränge. „Emotionen“ ist das Lieblingswort der meisten TV-Schaffenden. Auf Platz zwei das Wort „unfassbar“, auf Platz drei „Wahnsinn“. Nur erklären können sie nicht. Der Journalismus dankt ab.


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