Tichys Einblick
Das Unwort der Woche: Willkommenskultur

Mutti und die Sieben Zwerge

Die Medien sind zum Mainstream-Gesangsverein verkommen. Kommentatoren knien jetzt vor Merkel und verwechseln Mutti mit Mutter Theresa. ARD und ZDF machen aus Nachrichtensendungen Bekenntnisshows. Moderatoren sprechen pausenlos Reklameslogans. Wir sind Willkommenskultur-Weltmeister.

Mein Unwort der Woche: Willkommenskultur. Warum nicht endlich mal richtig stolz sein auf Deutschland? Hier sind Gründe.

I.

Muss immer alles gleich erhöht und überhöht werden zu „Kultur“? Manches davon hat mit Kultur soviel zu tun wie der Kulturbeutel, also nichts. Meist lässt der exzessive Gebrauch des Begriffs eher auf einen Mangel schließen: Unternehmenskultur, Fahrkultur, Trinkkultur. Auch mit der Sprachkultur steht es nicht zum besten. Das Wort Kultur drückt wohl eher einen Bedarf aus als einen Zustand, bestenfalls Hoffnung. Wie beim Gärtnern, wenn man eine Kultur anlegt. Sie bedarf der Pflege.

II.

Vor allem, was die Streitkultur angeht. Da sind die Deutschen geradezu Kulturbanausen. Am Mittwoch im Bundestag: Der erste Tag der Haushaltsdebatte, nach alter demokratischer Sitte der Tag, an dem die Regierung und ihre Politik in die Mangel genommen werden sollte. Doch das Herz der Demokratie ist derzeit ein Fall für den Kardiologen. Die Generaldebatte zur Lage der Nation fiel aus. Kein Wort zur verheerenden Renten-, Energie-, Bildungs- und Steuerpolitik. Es gab nur noch ein Thema, die Flüchtlingswelle. Als sei die Lage der Nation damit hinreichend erfasst. Niemand kritisierte „die verheerenden Spätfolgen“, wie Fraktionsvize Friedrich (CSU) erst zwei Tage später in der Passauer Neuen Presse. Im Bundestag haben alle zu kuschen, wenn Mutti die Welt verbessert. Schweigen aus Gefallsucht – denn das Volk liebt Mutti. Die ganze Welt verehrt sie. Dafür, dass sie nichts sagt und nichts tut, solange, bis sie vor den Verhältnissen kapitulieren muss. Dann kapituliert die Vernunft vor der Moral. Es ist das Gegenteil von Politik.

III.

Warum mir an dieser Stelle Franz Josef Strauß einfallen muss, der gerade hundert Jahre alt geworden wäre? Das war einer aus der Generation, die noch im Parlament groß geworden sind, nicht in den Talkshows. Einer von denen, die nicht täglich zweimal im lauen Mainstream badeten. Der etwas wurde, weil er mit scharfen Argumenten focht. Demokratie war einmal Diskurs. Demokratie braucht Reibungsenergie. Heute läuten die Glocken zur Angela und die Debatten generieren zur Andacht. Politiker, Journalisten und Volk murmeln gemeinsam den Rosenkranz.

Erst den freudenvollen, später den schmerzhaften. Strauß lebte im Barockzeitalter. Heute ist Biedermeier. Strauß hätte heute keine Chance mehr, nicht einmal in seiner eigenen Partei. Noch nicht einmal zum Landrat würde sie ihn kandidieren lassen. Weil ihm die Moral zu wenig, die Politik zu viel galt. Strauß war immer Gegenspieler seiner eigenen Kanzler: Von Adenauer, von Kohl. Was Merkel fehlt, ist ein Gegenspieler. In einer gut funktionierenden Demokratie reicht dazu die Opposition nicht aus, (selbst wenn sie nicht von Merkel anästhesiert wäre wie die SPD). Was haben Angela Merkel und Schneewittchen gemeinsam (außer der Schönheit natürlich)? Beide umgeben sich gern mit Zwergen.

IV.

Und die Medien, die Vierte Gewalt? Zum Mainstream-Gesangsverein verkommen. Kommentatoren von A wie Augstein (Spiegel-Online) bis Z wie Zastrow (FAZ) knien jetzt vor Merkel und verwechseln Mutti mit Mutter Theresa. ARD und ZDF machen aus Nachrichtensendungen Bekenntnisshows. Moderatoren sprechen pausenlos Reklameslogans. Aus Mitgefühl, gewiss. Offenbar gilt Hajo Friedrichs Maxime nicht mehr: Ein Journalist habe sich keiner Sache zu verschreiben, nicht einmal einer guten. Emotionalisieren statt reflektieren: das ist die Maxime einer Medienlandschaft in Zeiten des politischen Biedermeiers und der Jagd nach Quoten. Und das ZDF setzt eine Gala mit Kerner oben drauf. Emo-Kitsch zum Steinerweichen. Ein Flüchtlingschor singt „Seid umschlungen, Millionen.“

V.

Wie wärs statt dessen mit einer zumindest angedeuteten Debatte zum Thema Leitkultur? Die Debatte führen andere. Polen, Slowaken, Ungarn. Dafür werden sie von uns als kulturlose Hunnen attackiert. Als Menschenfeinde. Erzengel Gabriel überlegt schon, ob er zur Strafe die Grenzen ins deutsche Paradies für Osteuropäer schließen lassen sollte. Hauptsache für den Rest der Welt sind sie offen.

VI.

Zurück zur Willkommenskultur. Die Rede kann doch allenfalls sein vom erfreulich kultivierten Benehmen der Behörden und zahlreicher Bürger (einer insgesamt kleinen Minderheit) bei der Ankunft von Zigtausenden hilfsbedürftiger Personen, die als Flüchtlingsstrom zu bezeichnen eben jene Willkommenkultur verbietet. Macht aber nichts, wir wissen, was gemeint ist. Der propagandistische Gebrauch des Begriffs verkürzt die gesamte Problematik auf ihren Beginn. Und die ganze Inbrunst des Ausdrucks ist verlogen. Sie gilt in Wahrheit ja nicht den aus Syrien Getriebenen. Sie gilt uns. Wir sind toll! Wir halten unsere Gefühle für Politik. Weil wir Politik eigentlich nicht mögen. Weil wir uns lieber als Weltmeister vorkommen.

Willkommenskulturweltmeister. Wir produzieren ein Spätsommermärchen und mal wieder einen deutschen Sonderweg. Wir sind den anderen überlegen. München, Hauptstadt der Bewegten. Mutti befiehl, wir folgen dir! Freibier für alle, hieß mal ein alter Spontispruch. Das Oktoberfest beginnt am nächsten Samstag. Wie wärs mit einem Bierzelt als Notaufnahmelager, samt Ochs am Spieß (religiös unbedenklich) und Biergutscheinen (Umstellung auf Sachleistungen)!

Und nach dem Rausch?

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