Tichys Einblick
Bürokratie

Das Monster

Die meisten Deutschen glauben an das grundsätzliche Heil der Bürokratie. Sie halten Regulierung für die Voraussetzung von Ordnung – und Ordnung für den natürlichen Zustand der Dinge. Das ist ein Irrtum. Ordnung ist immer nur ein Instrument in den Händen der Mächtigen.

Ein Monster hält dieses Land fest in seinen Klauen. Es ist die Bürokratie. Das wird zwar schon lange beklagt, aber es hat eine neue Dimension erreicht: Bürokratie als mächtigstes Instrument in der Hand einer ideologisch radikalisierten Regierung.

I.

Deshalb sind alle Entbürokratisierungs-Beteuerungen Täuschung. Niemand will wirklich weniger Bürokratie, im Gegenteil. Bürokratie wird in Deutschland zunehmend zur „Großen Transformation” und damit zur Einschränkung von Freiheit missbraucht. Bürokratie, könnte man Goethes Mephisto paraphrasieren, ist die Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

II.

Die Regulierungswut kennt keine Grenzen. Von der Steuer- über die Bau- bis zur Beschaffungsbürokratie der Bundeswehr, vom Prüf- und Meldezwang im Gesundheitswesen bis zur neuen Heizungsbürokratie. Das Kontrollsystem lastet lähmend auf dem Land. Mit jeder neuen „Reform“ nimmt Bürokratie zu. Das gilt nicht zuletzt für den Richtlinien- und Gleichschaltungsterror der EU. Keine Ausrede: die Deutschen marschieren dabei voran.

III.

Ein aktuelles Beispiel für die verhängnisvolle Wirkung von Überregulierung ist ein Gesetz mit dem monströsen Titel Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Einer von mehreren zusätzlichen Knüppeln zwischen den Beinen der Wirtschaft, als hätte die sonst keine Probleme. Über die gute Absicht des Gesetzes ließe sich reden, würde damit nicht nur die Wirtschaft belastet, sondern auch den Arbeitern in der Dritten Welt geholfen. Als 2012 wegen gravierender Baumängel eine Textilfabrik in Bangladesch abbrannte und mehr als hundert Näherinnen starben, wurde das Gesetz auf den Weg gebracht. Katastrophen wie diese kann das Gesetz aber gar nicht verhindern. Es verpflichtet deutsche Firmen nur dazu, Arbeits- und Umweltbedingungen ihrer Lieferanten zu prüfen und nachzuweisen – was de facto unmöglich ist. Lieferkettenbeauftragte müssen bestellt, hunderte von Fragen beantwortet und die Antworten vom Bundesamt für Ausfuhrkontrolle überprüft werden. Trotz bester Bemühungen vermag keine Firma für tausende von Lieferanten und hunderte von Produkten zu bürgen. Folglich wird die unlösbare Aufgabe für viel Geld an Organisationen wie den TÜV vergeben. Große Konzerne werden damit eher fertig, manchem Mittelständler geht das Gesetz an den Kragen. Zumal dann, wenn nach Maßgabe einer EU-Richtlinie ab 2025 jeder Betroffene auf Entschädigung klagen kann. Ein neues Feld für internationale Law Firms zeichnet sich ab. Sie sind ein weiteres Beispiel dafür, dass überregulierende Bürokratie und Moralismus Brüdern und Schwestern im Geiste sind.

IV.

Das zeigt sich auch an der Aufblähung des Bürokratenapparats. In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Bundesregierung um 60 Prozent von 17.000 auf 27.000 Stellen. Insgesamt stieg die Zahl der Beschäftigten von Bund, Ländern und Gemeinden in dieser Zeitspanne um 300.000 Stellen. Dennoch fehlen noch immer angeblich 360.000 Leute im öffentlichen Dienst. Wäre die Verwaltung dabei wenigstens effizienter geworden. Doch mit der Digitalisierung hapert es nach wie vor. Am heftigsten blähten Habeck und Baerbock ihre Ministerien auf, davon profitieren viele Parteifreunde und Aktivisten von NGOs – vom der familieninternen Vetternwirtschaft ganz zu schweigen. Über dieses Ärgernis wird oft der eigentliche Missstand leicht verdrängt: der ja vor allem ideologische Filz dient einem Ziel: Weniger Freiheit für Bürger wie für Unternehmer.

V.

Die Bürger aber kuschen und die Unternehmer rufen selbst nach immer mehr Staat. Sie wollen von dem gerettet werden, der sie gängelt. Soziale Marktwirtschaft ist nur noch ein Echo aus uralten Tagen. Deutschland nimmt mit Riesenschritten den Weg in die Planwirtschaft. Subventionen und Verbote steuern die Produktion. Der Staat bezahlt mit Milliarden – die er nicht hat – die „klimagerechte“ Transformation der Wirtschaft, und gängelt sie in Abhängigkeit, so weit sie es nicht vorzieht, das Land zu verlassen. Die monströse Bürokratie ist die entscheidende Waffe in der Hand derjenigen, die das Wesen dieses Landes verändern.

VI.

Die meisten Deutschen glauben an das grundsätzliche Heil der Bürokratie. Sie halten Regulierung für die Voraussetzung von Ordnung – und Ordnung für den natürlichen Zustand der Dinge. Das ist ein Irrtum. Ordnung ist immer nur ein Instrument in den Händen der Mächtigen.

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