Tichys Einblick
Einseitige Aufforderung und Zumutung

Mehr Resilienz! Eine neue Propaganda-Formel

Mehr Resilienz wird der gesamten Bevölkerung anempfohlen. Als Tugend der Saison. Von mehr Resilienz der Politik gegenüber dem Ansturm an Krisen ist nie die Rede. Das Verhängnis richtet eine kurzsichtige, alles andere als resiliente Politik seit Jahren an. Sie klaglos zu erdulden gilt als Resilienz. Eine Frechheit!

Ein Modewort, das sich durch die aktuelle Debatte zieht, lautet Resilienz. Gemeint ist eine Art geistig-moralisches Frostschutzmittel. Widerstandsfähiger soll das Volk werden gegenüber all den Zumutungen, die die Berliner Republik seit ihrer Gründung zu bieten hat. Resilienz! Eine Aufforderung, die sich als Volksverhöhnung entpuppt.

I.

Eigentlich ist Resilienz eine individuelle Persönlichkeitseigenschaft, mithin angeboren. Man kann sie nur bedingt trainieren. Resilienz bedeutet Widerstandsfähigkeit gegenüber Zumutungen, Anpassungsfähigkeit an unerwünschte Veränderungen und Herausforderungen und gegenüber Stressfaktoren. Doch so wird der Begriff in der gegenwärtigen Lage nicht definiert. Er ist vielmehr ein Appell an das Kollektiv. Ein volkspädagogisches Lernziel. Eine einseitige Aufforderung und Zumutung. Mehr Resilienz wird der gesamten Bevölkerung anempfohlen. Als Tugend der Saison. Von mehr Resilienz der Politik gegenüber dem Ansturm an Krisen ist nie die Rede. Das Verhängnis richtet eine kurzsichtige, alles andere als resiliente Politik seit Jahren an. Sie klaglos zu erdulden gilt als Resilienz. Eine Frechheit!

II.

Es ist ein so gewaltiges wie gewaltsames Experiment, das die Politik derzeit mit der Bevölkerung unternimmt. Der Staat macht seine Bürger zum Versuchskaninchen. Ausgetestet wird offenbar, wie viele gleichzeitige Krisen der brave Bürger noch erträgt, ehe er verzweifelt oder endlich rebelliert. Die miserable Lage des Landes und der bedrohliche Zustand der Welt sind jedenfalls mehr als die Summe dessen, was Klimapolitik, Krieg und Corona bisher schon angerichtet haben. Die Überlagerung und Potenzierung aller Krisen überfordern alle. Aber die Politik trägt nicht besonnen zur Beruhigung bei. Im Gegenteil. Sie hat in den vergangenen Jahren nicht nur selbst, etwa durch die verfehlte Energiepolitik, Krisen verschärft, sondern dazu auch noch die Bevölkerung mit schwarzer Pädagogik in Angst versetzt. So „funktionierte“ die Corona-Politik. So wurde die Klimapanik geschürt. Und jetzt soll es plötzlich anders herumlaufen: Resilienz statt Hysterie.

III.

Aber auch das Resilienzgebot ist bei genauerer Betrachtung nur ein Knüppel, den die Mächtigen über den Köpfen der Geschädigten schwingen und mit dem die Medien täglich auf es eindreschen. Genügsamkeit sei etwas anderes als Verzicht, heißt es im Pietistenton. Für die geschäftsführenden Versager und ihre Lautsprecher badet das Volk gern lau, duscht gern warm, will Weihnachten auch noch im Lichterglanz feiern. Ihm soll eingeredet werden, der Mangel an Resilienz sei die Folge von 70 Jahren Gewöhnung an Wachstum, Wohlstand und halbwegs soziale Sicherheit. Nein, das Volk hat weder geaast noch verschwendet, und blind darauf los gelebt hat es auch nicht. Das sind Lügen, die ablenken sollen vom verantwortungslosen Versagen der Politik. Jetzt sollen sich Bürger auch noch gelassen etwa an die Vorstellung gewöhnen, im achten Stock einer Mietskaserne zu wohnen und mehrere Tage lang ohne Heizung, Herd, WC, Wasser, Telefon, TV und Lift auszukommen. Die Empfehlung von mehr Resilienz klingt da nur noch zynisch.

IV.

Das einzige, was dem Volk vorzuwerfen ist, ist seine Leichtgläubigkeit, seine Vertrauensseligkeit, sein Glauben an die ökonomische Überlegenheit Deutschlands und dessen begnadeter Bürokratie. Seit einigen Jahrzehnten geht es schon bergab, aber kaum jemand wollte die systematische Erschütterung des Wohlstandsfundaments durch die herrschenden Parteien zur Kenntnis nehmen. Ja, mehr Resilienz wäre hilfreich. Aber bitte nicht noch mehr Resilienz gegenüber den Habecks und Lauterbachs und all den irrlichternden Kanzlerdarstellern. Gelobt sei nicht, was hart, sondern was wütend macht. Resilient wird ein seit Merkel systematisch anästhesiertes Volk nicht durch Gleichmut, sondern durch Auflehnung gegen eine seit Jahren verheerende Politik. Als sei es kein Verlust, sondern die neue Normalität, an die man sich eben anpassen müsse. Und als sei Leidensfähigkeit, beziehungsweise Resilienz eine neue preußische Sekundärtugend.

V.

Die Versager bauen vor. Der in Umlauf gebrachte Modebegriff Resilienz ist ein Versuch, den Niedergang von Wohlstand und Sicherheit als alternativlos darzustellen. Wir schaffen das auch, und ist ja egal. Wir sollen dem Verfall sogar etwas abgewinnen. Da ist sie wieder: die verdammte Moral als Verblödungs- und Unterdrückungselixier. Lassen wir uns darauf bloß nicht ein! Die Aufforderung zu mehr Resilienz ist nichts als Propaganda.

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