Am ersten Tag jeden Kriegs ist klar, dass außer Kapitulation – wovon im Ukraine-Krieg nicht auszugehen ist – nur Diplomatie den Krieg beenden kann. Es gibt keinen sinnvollen Heldentod, weil am Ende immer die Rationalität der Diplomatie entscheidet. Wie in allen Kriegen mangelt es nicht an Strategen. Es mangelt an Diplomaten.
I.
Der ukrainische Präsident Selenskyj scheint eine seltsame Vorstellung vom Beruf des Diplomaten zu haben. Er hat seine Botschafter in Georgien und Marokko gefeuert. Nicht, weil sie heimlich für Putin spioniert hätten, sondern, wie ihr Präsident verkündete, nicht „effektiv“ darin gewesen seien, für Waffenlieferungen an die Ukraine zu werben. In Georgien und Marokko seien außerdem keine Sanktionen gegen Russland erwirkt worden. Botschafter als Kriegsmanager, das ist eine neue Definition. Der ukrainische Botschafter in Berlin gibt sich alle Mühe, den Beifall seines Präsidenten zu gewinnen. Ob er in Deutschland so „effektiv“ ist wie in Kiew erhofft und erwünscht, darf zwar bezweifelt werden. Vielleicht macht ihn das so nervös. Fest steht, dass er als Propagandist seiner selbstverständlich gerechten Sache das Gegenteil dessen ist, was gemeinhin als diplomatisch verstanden wird. Man könnte gar meinen, dieser seit 2015 bestallte außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter, seine Exzellenz Andrij Melnyk, 46, geboren in Lemberg, hätte seinen Beruf verfehlt, so aufgebracht und undiplomatisch poltert er durch die deutschen Talkshows und Medien, wirft den Deutschen Feigheit, Versagen, Scheinheiligkeit vor. Er vermittelt nicht, er holzt und heizt und heult auch noch dazu. Er verletzt bewusst die Grundregel der Diskretion und berichtet öffentlich und offenbar auch noch grundfalsch von einem Gespräch mit Finanzminister Christian Lindner. Ein lupenreiner Diplomat.
II.
Das Foto ist einige Jahre alt und stammt von der Münchner Sicherheitskonferenz. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sitzt, der russische Außenminister Sergej Lavrov geht an ihm vorbei. Dabei betatscht der Deutsche den Arm des Russen, der die flüchtige, gleichwohl innige Berührung an der Schulter erwidert. Ein heimlicher Ausdruck von Zuneigung, von Männerfreundschaft. In ungesagten Worten: Wir verstehen uns, schön, dich in meiner Nähe zu wissen, wie gut, dass es uns gibt, schließlich sind wir Profis. Keine Geste dokumentiert anrührender das historische Missverständnis, die Verblendung, den Selbstbetrug und die Selbstherrlichkeit des diplomatischen Personals. Die Steinmeiers dieser Welt haben nichts kapiert. Lavrov, die soignierte Larve der Diktatur, hat sein Spiel perfektioniert. Lupenreine Diplomaten unter sich.
III.
Nun lud der vom Chef-Diplomaten zum Chef-Prediger beförderte Steinmeier zum „Solidaritätskonzert“ ins Schloss Bellevue. Man kann mit guten Gründen den Abend als Kitsch abtun. Nur ist die Mitwirkung des russischen Weltklassepianisten Jewgeni Kissin, der schon lange im Exil lebt und Putins Krieg öffentlich verurteilt hat, kein Grund, das Konzert zu boykottieren. Melnyk polterte: Er habe „keinen Bock auf russische Kultur. Basta.“ Das wiederum ist nicht nur undiplomatisch, sondern geradezu verräterisch und dumm dazu. Der Ukrainer ist auch noch stolz auf seine beispiellose Banausenhaftigkeit, die nur Wasser auf Putins Mühlen sein kann. Putin ist nicht Russland und schon gar nicht russische Kultur, die diesen Krieg selbstverständlich überleben wird. Das Einzige, was prinzipiell aus allen Sanktionen und Boykotten ausgenommen werden müsste, ist Kultur. Sie ist ist die einzige unbestechliche Form von Diplomatie, die es gibt.
IV.
Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Oligarch Roman Abramowitsch holen sich gerade krachende Abfuhren als lupenreine Privatdiplomaten.
V.
Als der 30-jährige Krieg Europa verheert hatte, schlug die Stunde der Diplomatie. Die Beauftragten tagten fünf Jahre lang, bis 1648 endlich in Münster und Osnabrück die Tinte unter einer europäischen Friedensordnung gleichberechtigter Staaten und Konfessionen trocken war. Als Napoleon 1815 entmachtet war und in der falschen Hoffnung auf Asyl von den Engländern festgenommen und nach St. Helena im Südatlantik deportiert wurde, schlug die Stunde der Diplomatie. Der Wiener Kongress tanzte und gab Europa ein neues Gesicht – das dem alten Gesicht erstaunlich ähnlich war. Restauration hieß eine der Parolen.
VI.
Wann ist die Stunde der Diplomatie gekommen? Wäre Napoleon früher zu stoppen gewesen? Als Kind der Aufklärung durchaus auch an zivilen Werten und Errungenschaften orientiert, hatte er ein entscheidendes Defizit. Er verheizte Menschen ohne einen Hauch von Gewissen. Das, aber auch nur das, hat Putin mit ihm gemeinsam. Das spricht für eine lange Zeit des Leidens und des Zerstörens. Am ersten Tag jeden Kriegs aber ist klar, dass außer Kapitulation – wovon im Ukraine-Krieg nicht auszugehen ist – nur Diplomatie den Krieg beenden kann. Diplomatie setzt guten Willen voraus, der manchmal erst als Resultat gescheiterter böser Absichten entsteht. Unter dem Strich gilt wohl: Es gibt keinen sinnvollen Heldentod, weil am Ende immer die Rationalität der Diplomatie entscheidet.