In dieser Woche kam das ganze Spektrum der politischen Unwahrheit zum Einsatz. Lügen gehören zur Standardrhetorik. Irreführung, Unterstellung, Stimmungsmache. Im Wahlkampf hat die Wahrheit ausgedient. Die Lüge wird zur neuen Realität.
I.
Es gibt eine Sorte von Lügen, die gar nicht erst beanspruchen, für Wahrheit gehalten zu werden. Es handelt sich bestenfalls um eine Karikatur von Wirklichkeit, wenn etwa Trump im Fernsehduell behauptet: „In Springfield essen sie die Hunde. Die Leute, die reinkamen, essen die Katzen. Sie essen die Haustiere der Menschen, die dort leben.“ Es ist der Schenkelklopfer eines Entertainers, von dem niemand Wahrheit erwartet, sondern Stimmung. Eine Hetz, wie man in Bayern sagt. Eine andere Kategorie von Lüge ist die freie Unterstellung. Auch dabei kommt es nicht darauf an, wie glaubwürdig sie ist. Dass Kamala Harris Kinder auch noch nach der Geburt „abtreiben“, also ermorden lassen möchte, ist absurder Unsinn. In Trumps Augen heiligt der Zweck selbst diese Lüge. Davon abgesehen beweist er, was er vom Geisteszustand seiner Anhänger hält. Aber wie es in der Bibel so schön heißt: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
II.
Deutsche Wahlkämpfer sind natürlich viel wahrheitsliebender. Vor allem der Bundeskanzler. Er ist geradezu ein Wahrheits-Virtuose. Lügner erkennt man übrigens daran, dass sie das Wort Wahrheit besonders gern im Munde führen. Kanzler Scholz in der jüngsten Haushaltsdebatte zu Oppositionsführer Merz: „Sie können es nicht, das ist die Wahrheit, mit der wir konfrontiert sind.“ Es war seine Antwort auf das Platzen des „Migrationsgipfels“, das – eine Form der Desinformation – den Unionsparteien angekreidet wird. Die meisten Medien übernahmen mit Inbrunst diese Lüge. Merz könne es nicht, ist eine Behauptung, die sich erst bewahrheiten muss. In ihr enthalten ist die Behauptung, Scholz könne es. Das ist allerdings bereits gründlich widerlegt. Wenn Scholz im gleichen Atemzug vom „Erfolg“ seiner Regierung spricht, handelt es sich um eine weitere Form der Lüge, um Halluzination.
III.
Seine Regierung habe in diesem Bereich „die größte Wende der vergangenen Jahrzehnte geschafft“, schwindelt er. Das ist eines Münchhausen, des deutschen Lügenbarons, würdig, nur, dass der ein Fantasy-Schriftsteller war, kein fantasieloser Politiker. Der grandiose Roman Harmonia Caelestis von Peter Esterházy beginnt mit dem Satz: „Es ist verdammt schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.“ Das ist es! Das Rettungslose am Lügner Scholz ist, dass er von der Wahrheit keinen blassen Schimmer hat. Wer die Wahrheit nicht kennt, ist noch viel gefährlicher, als der, der bewusst lügt, denn er belügt vor allem sich selbst. Scholz lügt nur dann erfolgreich, wenn er die Wahrheit kennt, aber sich nicht erinnern zu können behauptet (im Steuerskandal der Hamburger Warburg Bank). Er lügt dagegen verdammt schlecht, wenn sein Leugnen einhergeht mit dem Leugnen der Realität. Das Leugnen der Wirklichkeit ist in der Politik die schlimmste Form der Lüge.
IV.
Eine neue Form der politischen Lüge ist die sogenannte leichte Sprache. Sie ist eine doppelte Lüge. Die erste Lüge besteht in der Behauptung, es gehe darum, Minderbemittelten „barrierefreien“ Zugang zur komplexen Wirklichkeit zu ermöglichen. Das Gegenteil ist der Fall. Vereinfachung mündet unwillkürlich in Lüge, wenn sie die Wahrheit verfälscht. Dies ist beabsichtigt. Leichte Sprache ist in Wahrheit ein Mittel der Propaganda. Beispiel. Auf der Internetseite des Kanzleramts heißt es: „Der Bundes-Kanzler hat sehr viel zu sagen. Der Bundes-Kanzler bestimmt, was die Bundes-Regierung tun soll. Welche Aufgaben angegangen werden sollen. Welche Probleme gelöst werden sollen. Das müssen dann die einzelnen Ministerien ausführen.“ Das ist die zweite Lüge. Denn erstens ist es sachlich falsch, denn neben der Richtlinienkompetenz des Kanzlers gibt es die Ressortautonomie der Ministerien. Deshalb kann sich Scholz ja einen schlanken Fuß machen, wenn es um die Versager im Wirtschafts-, Bau-, Umwelt-, Innen-, Außen- und den übrigen Gedönsministerien geht. Er könnte und müsste die Ministerinnen entlassen. Dass er es nicht tut, widerlegt die Aussage in leichter Sprache: „Der Bundes-Kanzler bestimmt, was die Bundes-Regierung tun soll.“ Selten so gelacht. Der Bundeskanzler isst Hunde und Katzen, wäre nicht weniger wahr. Offenbar hält Scholz die Leser solcher Sätze für keinen Deut gescheiter als Trump seine blinden Bewunderer. Das aber wäre nicht Inklusion, sondern Exklusion. Eine eigene Wirklichkeit für Leute, die er nicht für voll nimmt. Falls Scholz überhaupt jemanden für voll nimmt, außer sich selbst.