Kann man das Regieren eines Landes lernen? Die Frage scheint seltsam angesichts einer Amtsinhaberin, die seit bald 12 Jahren beweist, dass sie es nicht kann. Und trotzdem immer wieder gewählt wird. Sie hat gelernt, dass ihr selbst die gröbsten Fehler nicht schaden. Darf man dazu Lernen sagen? Eigentlich beweist es nur, dass Erfahrung mit Lernen nichts zu tun hat. Die Erfahrung sagt ihr: Wer dazulernt, gibt Fehler zu. Besser ist es, Fehler für unvermeidlich, noch besser: für alternativlos zu halten.
I.
Merkels grobe Fehler weisen ein Muster auf. Das zeigt: Die Kanzlerin weigert sich sogar, aus Fehlern zu lernen. Woher ihre Fehler rühren, ist nicht zu übersehen. Sie rühren nicht aus falschen Entwürfen für die Zukunft des Landes, sondern aus dem Fehlen jeglicher Entwürfe. Weil Merkel nicht weiß, wie sie für ihr Land eine gute Zukunft gewinnen könnte, weiß sie auch nicht, was für eine gute Zukunft unbedingt bewahrt werden müsste. Deshalb zerschlägt sie Strukturen wie beiläufig im Vorübergehen, ohne zu erkennen, was sie anrichtet. Alle ihre radikalen Wendemanöver (Energiewende, Einwanderungswende, jetzt die Verkehrswende) waren und sind weder durchdacht, noch solide vorbereitet. Im Grunde sind es nur hektische Schwankungen auf der Basis jener grün-roten Stimmungslage, die sie für kulturell prägend, also unausweichlich hält.
Insofern sind alle ihre Fehler systematische Fehler. Sie täuschen eine dahinter stehende Strategie vor, wo es in Wahrheit gar keine Strategie gibt. Mit anderen Worten: Merkels grobe Fehler sind Ausdruck einer – gemessen an den Anforderungen ihres Amtes – unglaublichen intellektuellen Schwäche. Seltsamer Weise aber wird sie für eine Intellektuelle gehalten, die die Dinge mit naturwissenschaftlicher Präzision vom Ende her denke. Dies ist ein großer Witz – über den bloß keiner lacht. Genauso gut könnte man behaupten, Donald Trump sei ein Intellektueller. Darüber würden alle lachen.
II.
Man kann über Donald Trump vieles sagen, nur nicht, dass er nicht aus Fehlern lernen würde. Zugegeben, er machte bisher viele Fehler. Aber hat auch viele Fehler korrigiert, zum Beispiel bei der Zusammenstellung seines Teams. Die deutschen Medien beurteilen Donald Trump jedoch nach vollkommen anderen Maßstäben als Angela Merkel. Trump wird als Dämon verteufelt, der zu keinerlei Einsicht fähig sei. Merkels Unfähigkeit zu Einsicht wird dagegen für pragmatische Staatskunst gehalten. Weshalb dieser Unterschied? Weil wir glauben wollen: Ein guter Mensch könne nicht unfähig sein, ein böser Mensch dagegen nicht lernfähig. Auch Fähigkeiten werden moralisch aufgeladen.
III.
Mir scheinen beide, Trump wie Merkel, auf jeweils eigene Weise ungeeignet für ihr Amt. Aber festzuhalten bleibt doch: Trump hat in einem halben Jahr mehr dazu gelernt als Merkel in über einem Jahrzehnt. Die Lernkurve des Donald Trump ist ungleich steiler als die der Angela Merkel. Mag sein, dass Trumps Kurve bei Null begann und noch lange nicht da angekommen ist, wo Merkels Kurve hätte beginnen müssen, als sie ihr Amt übernahm. Die hat aber nie begonnen, ist flach geblieben wie die mecklenburgische Tiefebene.
Drei Amtszeiten, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, eine vierte. Da ist keine Lernkurve mehr zu erwarten. Nur weiterer Verschleiß.
IV.
Ein anderer, ganz wesentlicher Unterschied: Die uralte Demokratie USA reibt sich an Trump. An Merkel reibt sich nicht einmal die parlamentarische Opposition. Die Deutschen zeigen auf Trump und sagen: Er spaltet. Aber macht er nicht die Demokratie in den USA wieder lebendig? Die Lebendigkeit der Demokratie zwingt Trump zu Lernprozessen. Seine Wiederwahl hängt davon ab.
Frau Merkel dagegen lähmt die Demokratie. Sie spaltet nur eine (wachsende) Minderheit ab, die am politischen System, das Merkel verkörpert, zunehmend zweifeln (und verzweifeln). Von ihren Lernprozessen hängt keine Wahl ab.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn sie den Wechsel kultiviert. Ein amerikanischer Präsident kann nur einmal wiedergewählt werden. Er ist handlungsunfähig, wenn er im Parlament die Mehrheit verliert. Bei uns darf er sich zu Tode koalieren. Das kann dauern.
V.
In Deutschland wird die Wahl eines Kanzlers als eine Art Salbung verstanden. Als sei der Regierungschef ein Monarch auf Zeit. Die Deutschen in ihrer Mehrheit unterwerfen sich ihm gern. Nüchtern ausgedrückt nennt man das dann Kanzlerbonus. Auch das ist in den USA anders. Seit Trump im Amt ist, geht es nur noch darum, wie man ihn wieder los wird.
Die meisten Deutschen nehmen die Würde eines Amtes für höher als ihre Verantwortung. Deshalb schätzen sie Kanzler nicht, die lernen. Denn lernen können nur Menschen, nicht Amtsinhaber. Die Mehrheit der Deutschen ist Untertan, nicht Souverän.
Was auch immer der Amtsinhaber macht, und seien es noch so grobe Fehler, wird in Deutschland für „Führen“ gehalten.
Wenn einer/eine das lange genug macht, gilt er/sie als bedeutender Führer. Oder sagen wir vorsichtiger: Lenker. Selbst wenn er nicht weiß, wo vorn und hinten, rechts und links ist.
Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop