Tichys Einblick
Herles fällt auf

Der geistige und der soziale Klimawandel setzen der Gesellschaft gleichermaßen zu

Noch ehe die Machtverhältnisse sich wieder ändern, was in anderen Ländern Europas bereits der Fall ist, kippt die Herrschaft der Moral aus eigener Schwäche.

Es ist ein Zweifrontenkampf. Auf der einen Seite die Zerstörung des Wohlstands und der ökonomischen Fundamente dieses Landes. Auf der anderen Seite die Beschädigung der kulturellen Assets dieser Gesellschaft, vor allem der Sprache. Der Wirtschaftskrieg korrespondiert mit dem Kulturkampf der grünen Systemveränderer. Noch ist ihr Vormarsch nicht gestoppt, weder an der einen noch an der anderen Front.

I.

Lange hat die breite Masse den Zusammenhang nicht erkannt. Für Kultur oder gar Kulturkämpfe hat sie sich nicht groß interessiert. Den Genderdiversityachtsamkeitskram empfand sie nicht als Gefahr, sondern höchstens als lästige Anmaßung postkolonial pubertierender Randgruppen. Genau darin liegt die Gefahr. Denn Sprache prägt nachhaltig und langfristig das politische Bewusstsein. Dazu kommt, dass sich maßgebliche Multiplikatoren dem Kulturkampf angeschlossen haben: Politik, Medien, Wissenschaft, Kirchen, ja sogar Unternehmen sind infiziert. So erfahren bisher auch diejenigen, die den „globalen Süden“ gegen den noch globaleren Westen ausspielen möchten, kaum Gegenwehr. Statt dessen Appeasement und Unterwerfung. Noch aber haben die systemischen Abendlandverächter ihre Herrschaft nicht vollständig errungen.

II.

Die breite Masse ist nun einmal bräsig. Nun allerdings ist es mit der Bequemlichkeit vorbei. Die sich übereinander türmenden Krisen schrecken auf. Die Komfortzonen bieten keinen Schutz mehr, sondern sind gefährdet. Es stellt sich heraus, wie fahrlässig es ist, selbsternannte Eliten einfach machen zu lassen. Wer Freiheit nie zu schätzen wusste, weil es für seine Laubenpieperfreiheit allemal reichte, kommt nun vielleicht doch auf den Gedanken, dass Geldentwertung, Wohlstandsverlust, staatliche Gängelung, Sprachverstümmelung und Moralquark aus allen Lautsprechern etwas miteinander zu tun haben könnten. Insofern rüttelt die Wirtschaftskrise wach, und selbst der brave Bürger erkennt im grünen Kulturbolschewisten seinen Feind. Das könnte der Punkt sein, an dem die Stimmung kippt: Es sind die Moralisten, die gerade ihrer eigenen Moral zusetzen, weil ihr anmaßender Volksbelehrungston nicht nur immer schriller in den Ohren tönt, sondern an Nebenkostenabrechnungen und bald auch an Thermometern abzulesen ist.

III.

Trotzdem sieht es noch nicht nach einer breiten Gegenbewegung aus. Die vor der Glotze geistig Erschlafften sind dafür zu träge und an Kulturkämpfen generell nicht interessiert. Die wenigen Protestbereiten der bürgerlich-liberalen Mitte sind zu schwach, zu unentschlossen, zu mutlos. Meine Vermutung und Hoffnung ist eine andere: Noch ehe die Machtverhältnisse sich wieder ändern, was in anderen Ländern Europas bereits der Fall ist, kippt die Herrschaft der Moral aus eigener Schwäche. Die Moralisten ziehen sich selbst ins Lächerliche. Siehe Habeck: Einer muss ja vorangehen. Der Insolvenzexperte könnte für den entscheidenden Moment gesorgt haben. Nun wachen selbst Verzagte und Halbherzige auf. Und der als Wirtschaftsminister kostümierte Kinderbuchautor ist dem öffentlichen Gespött preisgegeben wie schon lange keiner mehr.

IV.

Ich höre den Einwand: Aber uns fehlt es an schwerem Rüstzeug. Doch die schlecht gerüsteten, frei vagabundierenden, versprengten Reste der bürgerlichen Intelligenz sollten die Wirksamkeit der leichten Kavallerie nicht unterschätzen: Scherz, Satire, Ironie sind von tieferer Bedeutung. Im Häuserkampf gegen die furchtbare Humorlosigkeit der Beschwörer der neuen Finsternis, gegen die Vergiftung des Geistes, kommt das Gegengift des Unernstes ernsthaft in Frage. Es ist das beste Mittel gegen diejenigen, die als Rebellen gestartet und als Spießer gelandet sind. Lachen wir sie aus! Nehmen wir die jakobinischen Menschheitsverbesserer nicht mehr ernst! Strecken wir ihnen die Zunge heraus! Widerstand fängt klein an. Der neue Protest ist zunächst nur ein Sturm des Gelächters. Gelächter ist die erste Stufe des bürgerlichen Ungehorsams, weil es dagegen zumindest in Rechtsstaaten keine Mittel gibt.

V.

Aber das ist nur die erste Stufe. Die zweite Stufe ist die offene Verhöhnung und das lächerlich machen derer, die diesen Staat legal gekapert haben, aber ganz undemokratisch glauben, ihre Wahrheit sei absolut. Die dritte Stufe: Ungehorsam ist in der Not eine republikanische Tugend. Derzeit wird stark diskutiert, ob und welcher Protest angemessen wäre? Es ist gleichgültig, wie demonstriert wird. Hauptsache es wird, und zwar nicht nur gegen politische Versager, nicht nur gegen Kälte und Inflation, sondern vor allem auch gegen den geistigen Klimawandel.

Anzeige
Die mobile Version verlassen