Morgen, Kinder, wird’s was geben, und in Thüringen (und Sachsen) ist für die in Berlin regierenden Ampelparteien Grüne, FDP und SPD Bescherung. Vielleicht fliegen sie alle drei aus dem Parlament. Das Gejammere von der Unregierbarkeit des Landes ist jetzt schon groß. Als sei die Demokratie zu Ende, wenn keine stabile Koalition mehr gebildet werden kann, weil die Flügelparteien AfD, BSW und Linke mehr als die Hälfte der Sitze einnehmen. Es ist ein typisch deutscher, ja geradezu romantischer Denkfehler, zu glauben, ohne Bündnis zueinander passender Parteien (ob Liebesheirat oder Zweckbündnis) sei ein Land unregierbar. Es braucht aber keine mühsam ausgehandelten, fetten Koalitionsverträge, in denen jede der beteiligten Parteien sich bis ins letzte Detail selbst verwirklicht.
I.
Zugegeben, die Minderheitsregierung Ramelows war eine Missgeburt, gezeugt vom obrigkeitsstaatlichen Demokratieverständnis der damaligen Kanzlerin Angela Merkel, die verlangte, die ordnungsgemäße Wahl des Ministerpräsidenten von der FDP, die sie gar nichts anging, rückgängig zu machen. Weil ihr nicht passte, dass die demokratisch gewählten AfD-Abgeordneten auch eine Stimme haben. Demokratie als Gunstbeweis von oben. Schauderhaft! Aber im Prinzip müssten Minderheitsregierungen keine Notlage sein, sondern ein Normalzustand. Im Sinn der Demokratie.
II.
Die Vorzüge von Minderheitsregierungen liegen auf der Hand. Der Regierungschef – dem eine einfache Mehrheit des Parlaments genügt – sucht sich für jedes Gesetzesvorhaben erneut eine Mehrheit im Parlament. Da er keine Koalition zusammenhalten muss, steht er nicht permanent unter Einigungszwang – selbst dort, wo sie sich nicht einigen kann wie bei der Ampel. Sachargumente zählen mehr. Koalitionszwänge verhindern häufig notwendige Entscheidungen. Jeder Regierungschef sucht sich wechselnde Mehrheiten zusammen. Konkretes Beispiel: In Sachen Asylrecht und Migration wäre Deutschland längst weiter, würden die Vernünftigen in SPD und FDP (bei den Grünen sind sie nicht zu finden) zusammen mit den Abgeordneten der CDU beschließen, was nach dem Anschlag von Solingen eine Mehrheit richtig findet. Ja, richtig, die Ampel ist nicht überlebensfähig, auch wenn sie noch als Zombie bis zur nächsten Wahl herumspukt.
III.
Minderheitsregierungen müssen nicht minderwertige Regierungen sein, wie man hierzulande glaubt. Was wir heute zu beklagen haben, ist die Ideologisierung der Ampelpolitik. In einer Minderheitsregierung, selbst einer rot-grünen unter Kanzler Scholz, wäre so verheerender Unsinn wie die Energiepolitik nicht mehrheitsfähig gewesen. Und das Volk wäre nicht mit einer sinnlosen „großen Transformation“ gepeinigt worden. Minderheitsregierungen würden zwar zu mehr „Streit“ in den Parlamenten führen. Aber dem demokratischen Diskurs entschieden aufhelfen. Auch für die Wähler wäre es gut, nicht dauernd mit moralistischem Geschwätz behelligt zu werden, weil nur pragmatische Lösungen durchsetzbar wären. Minderheitsregierungen wären ein probates Mittel gegen die Ideologisierung der Politik.
IV.
Wäre eine Minderheitsregierung das Standardmodell, wäre auch die Seuche des Fraktionszwangs entschärft. Denn es wäre sinnlos. Abgeordnete sind angeblich (GG) ja nur ihrem Gewissen verantwortlich, de facto aber ihrer Fraktionsführung unterstellt und von ihr existentiell abhängig. Wenn ein Regierungschef – es wäre auch ein unabhängiger Fachmann denkbar – ohnehin jedesmal das Parlament aufs Neue überzeugen muss, dann gilt das auch für die Abgeordneten der eigenen Partei. Sie könnten ihr Mandat ernst nehmen.
V.
Es gibt Länder, Belgien etwa, in denen fällt gar nicht auf, dass das Land gerade keine Regierungskoalition zustande bringt. Es läuft auch so. Vor vier Jahren hatten die Belgier 16 Monate lang keine regulär gewählte Regierung. Lieber nicht (mit)regieren als schlecht regieren: das heißt ja nicht, dass das Parlament arbeitsunfähig wäre. Die Regierung könnte die Verwaltung am Laufen halten. Sie wäre nur nicht mehr in der Lage, Dogmen durchzupauken. Wer die Demokratie ernst nimmt, weiß Regierungen ohne fest gezimmerte Mehrheiten zu schätzen.
VI.
Außerdem: Was Deutschland braucht, ist entschieden weniger Staat. Eine Minderheitsregierung würde sich auf das Notwendige beschränken müssen. Natürlich hätte eine Minderheitsregierung auch einen Nachteil: Die Machtfrage verlöre an Bedeutung. Falls das ein Nachteil sein sollte.