Hat die FDP mit ihrem Zwölf-Punkte-Plan zur Stärkung der Wirtschaft dem Kanzler die Scheidung eingereicht? Will sie damit nur ihren heutigen Parteitag beleben? Glaubt sie, damit einen Rettungsschirm im freien Fall aufspannen zu können? Ist es für die „Liberalen“ nicht längst fünf nach Zwölf? Oder verpassen sie ihren Gegnern – den grün-roten Koalitionspartnern – damit endlich eine auf die Zwölf? Fragen über Fragen.
I.
Die Meinung, dieses Land benötige eine liberale Kraft – und da keine andere zu erkennen ist, eben die FDP – gilt ja nicht selten als verschroben, wenn nicht sogar als peinlich. Andererseits haben nicht nur die Unionsparteien den 12-Punkte-Plan der FDP begrüßt, sondern auch ein grundsolider, vernünftiger Politiker wie der im Herzen immer noch grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer: „Und jeder Unternehmer in meiner Stadt würde sie auch unterschreiben“, etwa die Abschaffung der Rente mit 63. Für die Punkte spricht auch, dass die SPD gerade den Verstand verliert, wenn sie behauptet, die Punkte seien „ein Angriff auf die Fleißigen in unserem Land“. Das Gegenteil ist der Fall. Um den wirtschaftlichen Absturz Deutschlands zu stoppen, gibt es keinen grundsätzlich anderen Weg.
II.
Ein Punkt aber fehlt, ohne ihn sind die zwölf anderen sinnlos. Rot-Grün muss weg. Warum ignoriert ihn die FDP? Das Papier wäre eine gute Begründung, die Koalition zu beenden, vorgezogene Neuwahlen herbei zu führen. Oder doch wenigstens eine rot-grüne Minderheitsregierung bis zur Wahl im Parlament an die Wand laufen zu lassen. Der oft zu hörende Vergleich mit Otto Graf Lambsdorffs Papier im Herbst 1982 hinkt in doppelter Hinsicht. Die FDP konnte damals die sozial-liberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt gefahrlos verlassen, weil damit ein Regierungswechsel verbunden war. Heute hätte eine Koalition der FDP mit den Unionsparteien keine Mehrheit. Die Partei ist nicht mehr Zünglein an der Waage. Es ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, dass die FDP der nächsten Bundesregierung – mutmaßlich unter Friedrich Merz – wieder angehören wird. Die FDP kann, wenn Kanzler Merz mit den Grünen oder der SPD keinen grundlegenden Politikwechsel zustande bringt, ihre zwölf Punkte dann vermutlich als außerparlamentarische Opposition plakatieren.
III.
Und zum anderen: Schmidt stürzte damals ja nicht über die FDP, sondern in Wahrheit über den linken Flügel seiner eigenen Partei (in Sachen Nachrüstung). Und auch Kanzler Gerhard Schröder scheiterte nicht an der Urgewalt einer Angela Merkel, sondern an den Linken seiner eigenen Partei, die die Sozialstaatsreform (Agenda 2010) torpedierten. Olaf Scholz würde es nie passieren, zur Rettung des Landes sein Amt zu riskieren. Er hat weder ein Konzept noch den notwendigen Charakter. Scholz wird nichts wagen, und deshalb auch nicht, was er eigentlich müsste, seinen Finanzminister Lindner entlassen.
IV.
Darauf wartet – ja hofft vielleicht die FDP. Wer zieht zuerst – das ist die spannende Frage in den kommenden Wochen. Ob es wie im guten alten Western Zwölf Uhr mittags zum Shoot Out kommt? Okay, Christian Lindner ist nicht gerade ein Gary Cooper. Aber wie im Western der Sheriff, wird in Berlin die FDP in der Not von ihren Wählern im Stich gelassen. Der FDP fehlt der Mut und die Entschlossenheit, das Desaster selbst zu beenden. Die anderen in der Ampel sollen ihr das abnehmen. Die Zwölf-Punkte sind eine Operation Pontius Pilatus: Die FDP wäscht sich die Hände in Unschuld und wartet noch ein ganzes Jahr bis zur regulären Neuwahl ab.
V.
Was also läuft da gerade? Ist es das übliche FDP-Manöver: rechts blinken und auf der linken Spur bleiben? Andererseits folgt dem Parteitag eine Serie von Wahlen. Jede Niederlage wird den Druck auf den machtversessenen Zauderer Lindner verstärken. Wird er doch noch den Revolver ziehen – aus Notwehr?
VI.
Was also werden die richtigen Vorschläge der FDP bewirken. Richtig! Zunächst einmal nichts. Die FDP kann keinen einzigen Punkt in Ampelpolitik umsetzen. Die Koalitionsräson verhindert sogar, dass sie gemeinsam mit Oppositionsparteien im Bundestag entsprechenden Beschlüssen zustimmt. Aber wenigstens weiß man nun, wo die Liberalen stehen: Vor allem stehen sie neben sich selbst.