Tichys Einblick
Brief an den Blogwart

Doktorhut und Hidschab: Anmerkung über den Wert der Bildung

Bildung ist Anfang und Voraussetzung jeglichen Fortschritts. Wissenschaft bedeutet, die eigenen Glaubenssätze (oder Hypothesen, wie Popper sagt) in Frage zu stellen. Wer Wissenschaft und Bildung erst nimmt, geht mit tausend Fragen durch die Welt. Wissen ist wichtiger als Glauben. Zweifeln besser als Beten.

Servus Tichy, was ich heute erzähle, hat mein Herz erwärmt. Trotzdem schreibe ich darüber. (Es ist alles ok mit mir, keine Bange.) Vor genau einer Woche geriet ich zur Mittagsstunde im Bonner Hofgarten in ein großes Fest. Mehr als tausend junge Leute, angetan mit Talaren und Doktorhüten, begleitet von ausgelassenen Freunden, stolzen Geschwistern und Eltern.

I.

Mein erster Gedanke: Das kann nicht wahr sein. So viele frisch gebackene Doktoren gibt es nicht einmal in Bonn. Richtig, erfahre ich, in Bonn kriegt man auch schon einen Doktorhut aufgesetzt, wenn man den Bachelor oder den Master gemacht hat. Bologna lässt grüßen, denke ich, alles geht in Europa den Bach hinunter, sogar die abendländische Universität. Dazu höre ich, worüber sich in meiner Heimatstadt Lindau gerade die dort versammelten Nobelpreisträger beklagen: Die Verschulung der Hochschulen. Die Studenten werden nicht mehr zu eigenständigen Denkern erzogen. Sie kauen bloß noch nach, was andere vorgekaut haben. Keine Zeit mehr lässt man ihnen, über den Tellerrand ihres Faches hinaus zu schauen. Deshalb scheuen die jungen Akademiker den Diskurs. Darunter leidet die Innovationsfähigkeit der Wissenschaft und überhaupt die Demokratie. Die dafür notwendigen Fähigkeiten sind nicht mehr gefragt. Eine Bildungskatastrophe. Und dieses Fest hier: Mehr Maskenball als Gaudeamus igitur.

II.

Aber dann mein zweiter Gedanke. Wie schön, dass die vielen Absolventen freiwillig in einen Talar geschlüpft sind. Zeigt der festlich begangene Semesterabschluss nicht so etwas wie Bildungsstolz? Wo gibt es den noch in diesem Land? Bildungsstolz: in dieser müden Gleichmachergesellschaft nicht mehr p.c., weil elitär. Hier in Bonn ist man nicht stolz auf etwas, wozu man nichts kann – die eigene Sippe, Nation, Fußballmannschaft, etc. – sondern auf die ganz und gar eigene Leistung. Hier wird wieder honoriert, was nicht in Euro zu berechnen und – in aller Regel – nicht käuflich ist. Besser zu sein, mehr zu wissen, wacher zu sein als die Masse der Couchpotatoes, wird hier nicht als bildungsbürgerlicher Müll abgetan. Der Wert der Bildung ist eben nicht allein auf dem Arbeitsmarkt abzulesen. Bildung bedeutet: Nicht alles ist gleich gültig, und deshalb auch nicht gleichgültig.

III.

Und schauen Sie sich diesen Schnappschuss an! Unter den Absolventen sind nicht wenige Frauen mit Kopftuch. Plus Doktorhüten oben drauf. Ich bin nicht naiv genug, um die sichtbare Unterwerfung unter die geistige Diktatur des Islams für harmlos zu halten. Aber dieser Anblick gefällt mir. Der Hut der Wissenschaft sitzt über dem muslimischen Symbol der Unterordnung. Er triumphiert geradezu über das Kopftuch, macht es überflüssig. Die beiden Symbole passen sichtbar nicht zusammen. Der Islam lehnt die wissenschaftliche Befassung mit seinen eigenen Grundlagen ab, sperrt sich gegen Skepsis, verweigert sich der Vernunft. Andererseits steckt unsere Welt voller Widersprüche. Warum nicht auch diesem? Das Erkennen des Widerspruchs ist der erste Schritt der Veränderung. Die junge Frau unterm Doktorhut widersetzt sich. Vermutlich ist es ihr noch gar nicht bewusst, aber sie wird noch darauf kommen.

IV.

Integration ist nicht zuletzt eine Frage der Bildung. Nicht nur wegen des Arbeitsmarktes. Sondern weil Bildung den Selbstwert des Individuums stärkt. Bildung emanzipiert den Einzelnen vom Kollektiv. Denn Bildung ist eine rein persönliche Leistung. (Anders als das Auswendiglernen des Korans – das ist nicht Bildung, sondern Abrichtung). Bildung ist also der Kern dessen, was wir meinen, wenn wir von Europas Werten sprechen. Der Individualismus ist (seit Humanismus und Aufklärung) die Leitkultur des Abendlands. Ich bin – sagt auch der Christ – Ebenbild Gottes und deshalb einzigartig, nicht als Teil der Menschheit, sondern als Individuum.

V.

Bildung ist Anfang und Voraussetzung jeglichen Fortschritts. Wissenschaft bedeutet, die eigenen Glaubenssätze (oder Hypothesen, wie Popper sagt) in Frage zu stellen. Wer Wissenschaft und Bildung erst nimmt, geht mit tausend Fragen durch die Welt. Die Fragen werfen immer neue Fragen auf. Schön, wenn sich eine Universität darauf besinnt. Schön, wenn Einwanderer sich der Kultur der Wissenschaft anschließen. Solche Einwanderer brauchen wir. Wissen ist wichtiger als Glauben. Zweifeln besser als Beten.

Ich fürchte nur, dass solche Gedanken in einer Gesellschaft, in der alles den Gesetzen massentauglichen Entertainments unterworfen ist, nicht mehr hoch im Kurs stehen. Die Schulen produzieren (viel zu viele) Abiturienten, die Unis Absolventen. Aber auch Bürger, denen Bildung etwas gilt?

Na dann Servus!

 

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