Vor einer Woche schrieb ich: „Wer jetzt Merz stürzt, macht sich zum Instrument derer, die dieses Land in den Abgrund stürzen.“ Würde ich mir die fast ausschließlich ablehnenden, teilweise verächtlichen 120 Kommentare zu Herzen nehmen, müsste ich meine Kolumne beenden. Wie Sie sehen, ziehe ich es vor, weiter anzuecken.
I.
Ich hatte die Fehler und Schwächen von Merz und seiner schlaffen Oppositionstruppe in meiner Kolumne (hier noch einmal nachzulesen) ja keineswegs verteidigt, sondern lediglich das Merz-Bashing kritisiert, auch das von rechts, die den Mann bereits als unhaltbar abschreiben. Ich hatte auf die wahltaktischen Konsequenzen eines Merz-Sturzes hingewiesen. Die Beschädigung (und Selbstbeschädigung) des Oppositionspolitikers hat bereits Folgen: Ein großer Teil der Bevölkerung traut einer bürgerlichen Regierung nicht mehr zu als der katastrophalen Ampel. Es setzt sich die Ansicht durch: Der Sturz von Merz ändert nichts, also kann er ruhig stürzen. Aber das stimmt natürlich nicht. Wenn Scholz von einer zweiten Amtszeit träumt, hofft er auf die Selbstzerstörung der Bürgerlichen. Darum versuchen jetzt Medien vom Stern bis zur Süddeutschen Zeitung Merz zu massakrieren. Es ist sinnlos, darüber mit Leuten zu diskutieren, die nur noch ihre eigene Meinung hören wollen, und die das Heil Deutschlands in einer Pseudo-Alternative sehen, die das Blaue vom Himmel herunter trompeten kann, weil es ohne jede politische Relevanz ist, und die von Realpolitik nichts mehr hören will. In dieser Hinsicht ernüchtert auch der jüngste Europaparteitag der AfD.
II.
Ein Teil meiner Kritiker, darunter der geschätzte Kollege Fritz Goergen, halten mich für blauäugig, was den Zustand der CDU angeht. Goergen schrieb: „Ja Himmel, wenn Wahlen den Gewählten, also Merz änderten, dann potenzierten sie doch nur seine ‚grün‘-woken Eigenschaften, die jetzt zu besichtigen sind. Was an die Regierungsspitze gerückte Schwarze tun, ist bei Wüst in NRW und nun bei Wagner in Berlin zu beobachten: ‚grün‘-woker als die ‚Grün‘-Woken.“ Das ist purer Defätismus. Ja Himmel, wenn Wahlen nichts mehr ändern, dann sollte man das Wählen einstellen und nach Österreich auswandern. Ist es da wirklich besser? Und wer sollte Scholz denn sonst ablösen? Wüst, Söder? Wirklich? Merz hat wenigstens gezeigt, dass er etwas ändern will, hat Linnemann ins Boot geholt. Er hat mit Widerständen zu kämpfen, für die er nichts kann. Es ist Merkels Saat, die aufgegangen ist. Es ändert sich zu wenig und zu langsam, aber nicht nichts. Den grünen Ideologen ist nicht mit einer gegenteiligen Ideologie beizukommen, sondern nur mit Pragmatismus.
III.
Ich habe schon verstanden: Die CDU hat fertig, wird von der Geschichte von der Platte geputzt. Die C-Parteien marginalisieren sich, lösen sich überflüssig und ununterscheidbar geworden allmählich auf – wie es in Italien und Frankreich und den Niederlanden bereits geschehen ist. Ein Schicksal, das auch und eher noch der anderen Ex-Volkspartei SPD blühen könnte. Aber das kann noch lange dauern. So lange kann dieses Land nicht warten. Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass neue Parteien bessere Politik machten. Sahra Wagenknecht und Hubert Aiwanger als Hoffnungsträger? Ernsthaft? Eine Illusion ist der Glaube, die AfD werde in ganz Deutschland so stark werden, dass an ihrer Regierungsbeteiligung nichts mehr vorbei führt. Wo sollen fähige, allseits akzeptierte Führungsfiguren denn herkommen? Aus den Parteien?
IV.
Der Wurm sitzt nicht in einzelnen Parteien – allen –, sondern im System des Parteienstaats. Eine Kaste von Berufspolitikern hat ihn im Griff. Man wird ihn, wie er in Deutschland nun einmal entstanden ist, nicht ändern können ohne eine Reform der repräsentativen Demokratie, also vor allem der Parteien. Weniger Berufspolitiker, kürzere Amtszeiten, mehr direkte Demokratie (aber keine Räte!). Wer aber soll das tun: die Parteien, wer sonst. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
V.
Der Zeitgeist kann und wird umschlagen. Es liegt in der Luft. Aber an eine Revolution glauben nur Traumtänzer. Das Elend der Deutschen ist ihr Konformismus, ihre Sehnsucht nach Einheit, ihre Staatsgläubigkeit, ihr Mangel an Freiheitsliebe und ihre Anfälligkeit für Ängste aller Art. Den derzeit ablaufenden Kulturkampf darf die bürgerliche Mitte nicht dem woken Mainstream in Medien und Politik überlassen. Ein Geist bürgerlicher Widerborstigkeit muss sich entfalten und er muss den Woken scharf ins Gesicht wehen. Das lässt sich nicht an eine Partei, schon gar nicht an die selbsternannte Alternative delegieren. Es ist eine Aufgabe einer nicht mehr schweigsam duldenden Mehrheit. Was Deutschland braucht, ist eine anarchische Aufwallung, die das System herausfordert, die den Druck im Kessel erhöht. Wie? Das erkläre ich ausführlich in meinem Buch, das demnächst erscheinen wird: „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“ Auch hier dazu demnächst mehr. Nur so viel: Anarchische Lust wäre nicht destruktiv.
VI.
Mancher mag hoffen, dass sich all die Mängel, Versäumnisse und Krisen zu einer verheerenden Megakrise ballen und das unbelehrbare Volk hart auf den Boden der Tatsachen aufprallt. Das will man niemandem wünschen. Manch einer im Osten mag von einem Ende wie dem der DDR phantasieren. Bloß, dass dann keine Bonner Republik den Schaden versichert.