Heute heiratet die Nummer sechs der englischen Thronfolge eine bürgerliche Amerikanerin. Ein Sack fällt um, wenn auch ein sehr schöner. Weshalb schaut die ganze Welt nach Windsor? Spinnen nicht bloß die Briten?
I.
Staatsakte der britischen Monarchie kennen keine Aufmärsche und Festreden. Ihnen genügen Geburtstage, Hochzeiten, Scheidungen, Beerdigungen. Die Königin hält nicht Moralpredigten, sondern rigoros den Mund, wenn es um Politik geht.
Sie mischt sich nirgends ein. Sie ist bloß da. Das reicht völlig aus.
Transzendiert ins Royalistische wird so das Nationalistische erträglicher. Die Monarchie ist nicht der Staat. Sie steht neben und über ihm. Die Royals sind nichts Abstraktes. Das Land spiegelt sich in einer Familie. Das ist zwar nicht rational, aber menschlich. Die Deutschen dagegen verehren den Staat, ihren Leviathan. Er ist die höchste Instanz, der sie sich beugen. Das ist ein tiefer Unterschied. Und das ganze Elend.
II.
Die Briten sind Untertanen. Sind sie deshalb Demokraten zweiter Klasse? Das Gegenteil ist der Fall. Denn das Unterhaus ist ausschließlich mit direkt gewählten Abgeordneten besetzt. Regierung und Opposition sitzen einander auf Augenhöhe gegenüber. In Deutschland gibt es nicht einmal die Möglichkeit, im Parlament der Kanzlerin direkt und unzensiert Fragen zu stellen. Niemand zwingt den deutschen Regierungschef sich im offenen Schlagabtausch zu bewähren. Es gibt in Großbritannien keinen Kanzler/innenkult wie in Deutschland, wo Macht bewundert und ihr gehuldigt wird. In England ist Theresa May nicht Premierministerin von Queens Gnaden. In Deutschland verdankt die gegenwärtige Kanzlerin einem Präsidenten ihr Amt, den sie sich selbst ausgesucht hat.
III.
Der gegenwärtige Bundespräsident und seine Vorgänger, zwei davon früh verabschiedet, diese demokratischen Ersatzmonarchen auf Zeit, sind amtlich bestellte Klugscheißer. Dabei sind sie noch nicht einmal direkt gewählt. Steinmeier ist de facto Merkels Vizekönig, ein Oberhofschranze mit Amt und Würden.
Ich plädiere für die ersatzlose Streichung dieser Position. Solange er nicht direkt gewählt wird, sollte der Parlamentspräsident Staatsoberhaupt sein, da er doch den Souverän repräsentiert.
IV.
Nein, bitte hier nicht die Hohenzollern ins Spiel bringen! Wilhelm Zwo, der letzte und unerträglichste Kaiser, übrigens ein halber Engländer, war weder repräsentativ noch vorzeigbar. Er war ein psychisch beschädigter Mensch, der die falschen Werte vertrat: Militarismus und Untertanengeist. Aus Hass auf seine englische Mutter trieb er die Deutschen in den ersten Weltkrieg. Die Preußendiktatur war keine repräsentative Monarchie britischer Bauart.
V.
Britanniens Monarchie ist eine verschwenderische Show. Aber sie zahlt sich mehrfach aus. Als internationale Marke. Und mehr noch als Identifikationsmittel der Briten. Mehrere Nationen, ein Königreich. Wie kann eine Extraportion Glamour es zusammenhalten? Eben, weil da keine aufgeblasene Idee ist, sondern pure Emotion. Das Kingdom funktioniert als Soap. Die Royals vermitteln das (trügerische) Gefühl, weil es sie gibt, sei die Welt noch in Ordnung. Obwohl sich die königliche Familie durch keinerlei Verdienste qualifiziert, trifft sie nicht Neid und Missgunst des Volkes, wie sie unsere Präsidenten und Ex-Präsidenten begleiten.
VI.
Nationalismus in England: Ja, und wie! Da ist kaum jemand angekränkelt von den Menschheitsverbrechen der kolonialen Vergangenheit, niemand von Schuldgefühlen zermürbt – die kein Bundespräsident weihevoll schürt. Der Brite singt aus vollem Hals „Rule Britannia!” ohne schlechtes Gewissen. Die Last Night of the Proms ist ein grandioser, nationalistischer Hexensabbat in der Royal Albert Hall. Das Pathos ist gebrochen durch Witz und Selbstironie. Der Union Jack schmückt auch die Narrenkappe. Wir dagegen machen Fahne und Hymne zum Narren.