Tichys Einblick
Die Verblödung ist menschengemacht

Die geistige Atmosphäre ist belastet. Rettet den Menschenverstand

Das Überleben der Menschheit kann nur durch kühle Rationalität gesichert werden. Dagegen führen Reizüberflutung, Überemotionalisierung und Bildersucht zu einer Überhitzung der Gerhirnsphären um mehr als drei Grad Celsius.

Reden wir ausnahmsweise mal über die größte Bedrohung der Menschheit. Es ist, allen Verblödungsleugnern zum Trotz, die Verblödung. Die Wissenschaft und der gesunde Menschenverstand – so weit er noch als gesund zu erkennen ist – können nicht irren: Die Verblödung ist menschengemacht.

I.

Zu den Hauptgründen zählt der erhöhte Ausstoß von Bullshit im Internet. Andere Ursachen kommen hinzu. Die Ansammlung von Müll in menschlichen Hirnen lässt Gedanken flächendeckend austrocknen. Beobachtet wird vor allem eine beängstigende Abnahme der Lese- und Schreibfähigkeit, denen die sogenannten Bildungssysteme nichts entgegenzusetzen haben. Sie gelten vielmehr als Hauptverursacher jener Immunschwäche, die die Verödung kognitiver und intellektueller Fähigkeiten noch begünstigt. Von der Verödung zur Verblödung ist es nach Ansicht fast aller Experten nur ein kleiner Schritt. Bis zum Jahr 2050 wird Europa der erste schreibschriftfreie Kontinent sein. Das bedeutet auch die Verkümmerung der Feinmotorik von weiten Teilen der Bevölkerung und damit einhergehend die Rückentwicklung der Gehirnaktivitäten (Dekomplexierung).

II.

Das Überleben der Menschheit kann nur durch kühle Rationalität gesichert werden. Dagegen führen Reizüberflutung, Überemotionalisierung und Bildersucht zu einer Überhitzung der Gerhirnsphären um mehr als drei Grad Celsius. Schon eine Steigerung der durchschnittlichen Emotionalisierung um zwei Grad gegenüber der Zeit vor Einführung des Buchdrucks würde das Ansteigen des Hysteriepegels nicht verhindern, sondern lediglich auf ein erträgliches Maß bremsen, während zugleich die Abnahme des Intelligenzpegels in den westlichen Demokratien weiterhin eine beängstigende Beschleunigung aufweist.

III.

Die Politik setzt fast einhellig auf technischen Fortschritt. Künstliche Intelligenz soll die Abnahme humaner Intelligenz weitestgehend kompensieren. Dagegen wächst der Widerstand wertkonservativer Kreise, die den Versuch, die natürliche Schöpfung mittels künstlichen Evolution zu korrigieren, für unannehmbar halten. Die Frage ist: Entscheidet sich die offene Gesellschaft für eine ethisch einwandfreie Massenverblödung mit allen Folgen für Wachstum und Freiheit – oder unterwirft sie sich der Herrschaft der Algorithmen unter Aufsicht einer verbliebenen Minderheit halbwegs informierter Experten. Zunehmend setzt sich die Auffassung durch: Intelligenz ist wichtiger als Demokratie. Denn was nützt Freiheit, wenn es nur noch die Freiheit von Blöden ist.

IV.

Bisher haben sich 192 Staaten nicht auf eine seit Jahren geplante Rahmenkonvention einigen können. Sie sollte darauf zielen, die „gefährliche anthropogene Störung der Vernunft“ zu verhindern und eine entsprechende Stabilisierung der Schwachsinnskonzentrationen zu erreichen. Angestrebt wird weiterhin ein Level, welches der natürlichen Intelligenz eine Anpassung erlaubt. Darauf, was eine „gefährliche“ Störung der humanen Rationalität genau bedeutet, konnte sich die Weltgemeinschaft jedoch bisher nicht einigen. Nach den Berechnungen des Weltbildungsrates müssten die Industrieländer dafür ihre Verblödungsemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.

V.

Wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen. Das Spiel ist aus, wir werden die Verblödung nicht mehr kontrollieren, die Katastrophe nicht verhindern können. Das Zwei-Grad-Ziel, «Fridays for Culture», die Bepreisung von Bewegtbild, die progessive Besteuerung medialer Windmaschinen, die zunehmende Rekultivierung der Diskurszonen, die Bekämpfung von Mangelerscheinungen durch einseitigen geistigen Veganismus: Alles dies kommt zu spät, nachdem dreißig Jahre lang vergeblich versucht wurde, die Internetnutzung zu reduzieren und das Bildungsniveau zu stabilisieren. Aber das ist kein Grund zum Aufhören und schon gar nicht das Ende von allem. Wir sollten uns vielmehr neu darauf besinnen, was uns wichtig ist. Deshalb wird es jetzt Zeit, sich auf die unvermeidbaren Folgen vorzubereiten. Es geht darum, alles in unser Macht Stehende zu tun, um unsere Demokratie auch ohne Lesen und Schreiben zu festigen.

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