Tichys Einblick
Oben gegen Unten

Die deutsche Staatskrise und ihre Ursache

Der Kern der Staatskrise ist nach wie vor die Staatsgläubigkeit der meisten Deutschen. Staatskrise? Wirklich? Die Krise lässt sich so zusammenfassen: Der Staat macht sich stark, wo er nichts verloren hat, und zeigt sich schwach in seinen Kernaufgaben. Er handelt gegen statt im Interesse der Mehrheit seiner Bürger.

Eine Konstante der deutschen Geschichte ist das falsche Verständnis der Deutschen vom Staat. Sie vergöttern ihn als Obrigkeit. Das haben sie nun davon. Der Staat ist ihr Gegner – auch wenn sie es noch immer nicht wahr haben wollen.

I.

Der Kern der Staatskrise ist nach wie vor die Staatsgläubigkeit der meisten Deutschen. Staatskrise? Wirklich? Die Krise lässt sich so zusammenfassen: Der Staat macht sich stark, wo er nichts verloren hat, und zeigt sich schwach in seinen Kernaufgaben. Er handelt gegen statt im Interesse der Mehrheit seiner Bürger.

II.

Kernaufgaben sind die, die auch in einem freiheitlichen, liberalen Rechtsstaat der freie Bürger (den es in Deutschland kaum einmal gegeben hat) selbst nicht erfüllen kann und auf den Staat angewiesen ist. Es ist zuerst die äußere Sicherheit. Deutschland ist derzeit nicht verteidigungsfähig. Dann die innere Sicherheit. Deutschland hat sich wehrlos den Folgen ungezügelter Migration ausgesetzt. Ob das neue europäische Asylverfahren etwas verbessern wird, ist nicht sicher und auch nur ein Teilaspekt. Integration ist das Hauptproblem. Drittens muss der Staat, wer sonst, die demokratische Grundordnung bewahren. Tatsache ist, dass Regierung und Parlament schon lange nicht mehr den Willen der Bevölkerungsmehrheit repräsentieren. Das neue Wahlrecht beschädigt zusätzlich die repräsentative Demokratie. Bildung ist ebenfalls Kernaufgabe, weil Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Die Bildungskatastrophe Deutschlands ist eine der Hauptursachen für den Niedergang.

III.

Der deutsche Staat setzt seinen Bürgern keineswegs nur einen ordnunsgpolitischen Rahmen, der es ihm ermöglicht, zufrieden und selbstbestimmt zu leben – also nach individuellem Glück zu streben (pursuit of happiness steht leider nur in der freiheitlichen amerikanischen Verfassung). Statt dessen setzt der deutsche Staat zunehmend unangemessene, unverhältnismäßige Grenzen und Zwangsmaßnahmen und beschränkt die Freiheit der Bürger. Wie er wohnt, sich bewegt, ernährt oder wärmt, geht den Staat nichts an. Die Staatsmacht begründet ihre Übergriffigkeit keineswegs mit kollektiven Werten wie sozialer Gerechtigkeit, sondern mit der angeblichen Dringlichkeit von Menschheitsproblemen. Der Staat versteht sich als globalmoralische Anstalt statt als Interessenvertreter seiner Bürger. Der Anspruch, von Berlin aus das Weltklima zu regulieren, ist gefährlicher Größenwahn. Das Ergebnis sind ökonomischer Niedergang, Wohlstandsverluste, Zukunftsängste.

IV.

Deshalb muss sich niemand im Wolkenkuckucksheim der Politik wundern, wenn immer mehr Bürger diesen Staat als Bedrohung empfinden statt sich selbst als Teilhaber und Souverän des Gemeinwesens. Die vielbeklagte Spaltung der Gesellschaft hat mit Rechts und Links weniger zu tun als mit Oben und Unten. Die Führenden nehmen immer weniger Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit.

V.

Absurd: Wer diesem Staat skeptisch gegenüber steht, gilt heute als Rechts. Die anschwellende Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist aber ganz bestimmt nicht von Sehnsucht nach einem autoritären Staat bestimmt. Ganz im Gegenteil. Als Kern der krisenhaften Deformation des Staats erweist sich die Herrschaft von Parteien, die jeweils ihr weltanschauliches Fundament verraten. Die Linke die soziale Frage, die Liberalen die Freiheit, die Konservativen das ökonomische und kulturelle Fundament.

VI.

Staatskrise? Wirklich? Ob Staatskrise oder bloß Parteienkrise ist unerheblich, solange der Staat als Instrument von Parteienherrschaft missbraucht wird. Solange Parteien – ob regierend oder opponierend – im Staat einen Leviathan sehen und sich selbst als herrschende Klasse gerieren, ist nichts zu gewinnen. Die Lösung der Krise kann nur in der Einsicht der Bürger liegen, dass der Staat nicht der Erfüllung ideologischer Träume zu dienen hat, sondern der Freiheit der Bürger.

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