Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt, sollte man es dem Schwanz nicht zum Vorwurf machen. Von der Koalition ist die Rede. Wovon sonst.
I.
20,5 Prozent der Wähler der Bundestagswahl bestimmen nun im Wesentlichen das Regierungsprogramm, weil der 32,9-Prozent-Hund mit sich wedeln lässt. Die Stimme eines Unionswählers wiegt weniger als die eines SPD-Wählers.
II.
Die Kampagne Tritt-ein-sag-nein mag am Ende erfolglos sein. Plausibel ist sie schon. Denn die Stimme eines SPD-Mitglieds zählt mehr als die Stimme eines CDU-Mitglieds. Gegen die Mehrheit der SPD-Mitglieder kann nicht regiert werden. Gegen die Mehrheit der CDU-Mitglieder anstandslos.
III.
Demokratietheoretisch ist das fragwürdig. Die CDU-Anhänger werden zum Anhängsel der SPD-Mitglieder gemacht, zum Schwanz, der am Ende freudig wedeln darf.
IV.
Warum haben überhaupt Parteimitglieder mehr Einfluss als gewöhnliche Wähler? War das nicht immer so? Im Prinzip schon. Es war schon immer nicht richtig. Die Machtbesessenheit der Parteien war immer schädlich für die Demokratie, aber wenigstens war dieser Makel gleichmäßig verteilt. Alle Parteien gehorchten den Regeln der repräsentativen Demokratie. Aber nun hebelt die SPD das System der Repräsentation aus.
V.
Weil das so ist, kann man sagen: Der Einfluss der SPD steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrer bei demokratischen Wahlen ermittelten Bedeutung.
VI.
Die Repräsentanten der SPD in den Koalitionsverhandlungen versuchen mit Hinweis auf die Macht der Mitglieder die Repräsentanten der Unionsparteien zu erpressen. Die Kompromissbereitschaft der Union wird de facto von der Kompromiss(un)fähigkeit der SPD-Mitglieder definiert.
VII.
Es ist schwer zu begreifen, dass sich die Mitglieder der Unionsparteien das gefallen lassen. Um Gleichheit herzustellen, müssten die Unionsparteien ebenfalls ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Ohne eine solche Abstimmung kann die Koalition nicht lupenrein demokratisch zustande kommen.
VIII.
Es wäre jedoch sinnlos, den Unionsmitgliedern den Koalitionsvertrag vorzulegen, weil es dieser Partei nur darum geht, das Amt des Regierungschefs zu besetzen – und zwar mit einer Amtsinhaberin, deren größter Erfolg in der Vergangenheit darin bestand, ihre Partei glauben zu lassen, ein prächtiger Schwanz sei schon der ganze Hund.
IX.
Seit Tagen bestimmt der Schwanz die öffentliche Aufmerksamkeit. Viele sehen vor lauter Schwanz den Hund nicht mehr. Auch daran ist nicht der Schwanz schuld.
X.
Der Schwanz ist der beliebteste Teil des Hundes. Er bellt nicht, beißt nicht, frisst nicht, kackt nicht. Drückt bloß Gefühle aus. Der Hund, der mit sich wedeln lässt, glaubt, er wäre so beliebt wie der Schwanz.
XI.
Ein Hund, der mit sich wedeln lässt, bewegt sich wie verrückt am Platz, kommt aber nicht voran.
XII.
Wenn SPD-Politiker davon sprechen, sie wollten bei den Verhandlungen so viel wie möglich „herausholen“, meinen sie zweierlei. Mehr Sozialismus aus der Union heraus zu holen. Und damit die SPD aus dem demoskopischen Loch. Auch alle gängigen Meinungsumfragen wollen wissen: Glauben Sie, die SPD wird mehr herausholen? Als erfolgreich gelten die Verhandlungen dann, wenn dies gelingt. So übernimmt der Mainstream die Logik der Zwanzig-Prozent-Partei.
XIII.
Schaden wird es am Ende dem Land, dem Hund und dem Schwanz. Mitgewedelt – mitvermöbelt.