Tichys Einblick
Mündige Bürger sind out, woke in

Claudia Roth erinnert sich

Erinnerungsweltmeister sind die Deutschen ja schon länger. Die ganze Welt bewundert sie dafür - glauben sie. So formen sie aus der moralischen Katastrophe noch einen moralischen Endsieg. Dabei wollen vor allem die Grünen nicht ruhen und rasten.

22.6.24

Herles fällt auf

Claudia Roth erinnert sich

Die sich für kompetent haltende Kulturstaatsministerin Claudia Roth will in großem Stil die „Erinnerungskultur“ auf ein neues Fundament stellen und den Umgang mit der deutschen Geschichte einer Wende unterziehen. Das nennt sich dann „Neukonzeption der nationalen Gedenkstätten“, und die Debatte darüber, die sie freilich lieber vermieden hätte läuft komplett aus dem Ruder.

I.
Mit Kultur hat „Erinnerungskultur“ so viel zu tun wie der Kulturbeutel. Der dient der Hygiene. Also der Gegenwart. Die Erinnernden stehen vor dem Spiegel, sehen sich selbst, nicht die Vergangenheit. Darum geht es: Das Erinnerungskultur gilt ausschließlich der ideologischen Festigung der Gesellschaft im Sinne der sie Transformierenden. Andernfalls käme niemand auf die Idee, den Staat für zuständig zu halten. Seit wann schreibt eine demokratische Regierung den Bürgern vor, wie sie sich woran erinnern sollen? Ja, in der DDR war das so. Im Dritten Reich auch. Staatliche Erinnerungskultur ist der Inbegriff eines auch im geistigen Leben übergriffigen Gouvernantenstaats. Sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, zählt seit Kant zu den Vorraussetzungen bürgerlicher Mündigkeit. Aber mit der Freiheit mündiger Bürger haben es die Grünen nicht so.

II.
Mündige Bürger sind out, woke Bürger sind in. Deshalb erinnern sie sich künftig pflichtschuldigst nicht bloß an Shoa und Diktatur, an Hitler und Stalin, sondern auch, als wär’s fast dasselbe in Grün, an den ganz und gar abscheulichen Kaiser-Wilhelm-Kolonialismus. Und denken immer daran, dass sich ja auch die Nichtbiodeutschen an irgend erinnern dürfen müssen sollen. Vielleicht sogar an die Gründe, weshalb sie unbedingt nach Deutschland kommen wollten. Dass man sich an etwas Erbauliches erinnert, ist in Deutschland aber nicht vorgesehen. Erinnern ist hierzulande meist ein Griff in den Schrank mit den Keulen und Ruten zur Selbstgeißelung. Erinnerungsweltmeister sind die Deutschen ja schon länger. Die ganze Welt bewundert sie dafür – glauben sie. So formen sie aus der moralischen Katastrophe noch einen moralischen Endsieg. Dabei wollen vor allem die Grünen nicht ruhen und rasten. Ganz ähnlich verhält es sich ja auch mit der „Willkommenskultur“. Es wird zum Verharmlosungsbegriff für das, was in Wahrheit für Unterwerfung unter das Vordringen der Scharia steht. Die Inbrunst, die in der „Willkommenskultur“ liegt, gilt in Wahrheit ja nicht den Geflohenen und Einwandernden. Sie richtet sich an die „Biodeutschen“. Wir sind toll! Wir halten unsere Gefühle für vernünftige Politik. Noch mehr moralische Desaster müssen her, um sich gebührend an sie zu erinnern. Dem „Globalen Süden“ hat sich der alte, weiße Abendländer nur noch in gebückter Haltung der Scham zu nähern. Die Rückgabe der Benin-Bronzen an die Familie eines Sklavenhändlergeschlechts war vorbildlich – wenn auch nur im Sinne politisch korrekter Erinnerungskultur.

III.
Würde der Staat wirklich dem historische Bewusstsein der Bevölkerung aufhelfen, müsste er zuallererst der Bildung auf die Beine helfen. Es ist kein Zufall, dass überall dort die Bildungskatastrophe besonderes zügig voran schreitet, wo Grüne regieren (etwa in Baden-Württemberg), was kein Zufall sein kann. Historisches Wissen – von Bewusstsein wollen wir gar nicht reden – sinkt in diesem Land selbst bei Akademikern unter Terra-X-Niveau. Nicht einmal von der Bonner Republik haben die meisten Bundesbürger noch eine hinreichende Vorstellung, sonst würden sie den Abstieg der Berliner Republik nicht so ungerührt hinnehmen.

IV.
Kein Zufall ist es auch, dass ausgerechnet die als Kulturstaatsministerin eingesetzte, gewissermaßen oberste Bildungsbürgerin wie so viele leitenden Angestellten der Bundesrepublik allenfalls über spärliche Bildungserfahrungen verfügt (zwei Semester Theaterwissenschaften). Mit Inbrunst verweist sie auf ihr Management einer Pop-Band (Ton Steine Scherben), die sich unter ihrer Leitung aus überwiegend finanziellen Problemen auflöste. Der Rest ist Politkarriere. Was Claudia Roth aber kann, und wofür sie viele Bürger ins Herz geschlossen haben, ist allzeit bereites falsches Pathos, ihre Fähigkeit, die Dinge emotional zu versimpeln und überschüssige Begeisterung zu verströmen, auch, wenn es sich um Antisemitismus und Islamismus handelt. Sie trägt ihr Herz dort, wo andere den Kopf vermuten. Als Festrednerin klingt sie immer irgendwie unbedarft, aber voller Enthusiasmus. Sie mischt sich in Dinge ein, von denen sie keine Ahnung hat, und kümmert sich nicht genügend um das, wofür sie wirklich zuständig wäre, obwohl sie davon auch keine Ahnung hat, also zum Beispiel um den Niedergang der Kunst-Documenta und der Berliner Filmfestspiele.

V.
Für die politischen Kultur im engeren Sinn fühlt sich die Staatsministerin beim Bundeskanzler sowie Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien übrigens nicht zuständig. Insbesondere mit der Streitkultur steht es bekanntlich nicht zum besten, und mit der Rolle der Medien dabei schon gar nicht.

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