Tichys Einblick
Wolfgang Herles beim Buchkauf

Ein „Kulturkaufhaus“ verliert den Verstand

Wenn es nach den Betreibern des „Kulturkaufhauses“ geht, ist Kultur kein Teil der Grundversorgung. Und „Verhältnismäßigkeit“ ist an diesem Ort sowieso ein Fremdwort.

Heute eine kleine, wahre Geschichte über die mentale Verfassung der vermeintlichen Kulturelite in einem Land, das nicht nur von einer Virus-Seuche heimgesucht wird.

I.

Vor dem größten Buchladen mindestens Deutschlands, in der Hauptstadt des Feingefühls, quält sich an einem grauen, arschkalten Werktag eine ca. 50 Meter lange Schlange menschlicher Gestalten ums Hauseck herum. DDR 2.0? Natürlich nicht. Es geht auch so. Es werden im „Kulturkaufhaus Dussmann“ am Eingang Impfnachweis plus Personalausweis penibel kontrolliert. Ich fühle mich nicht als Kunde begrüßt, sondern als Verdächtiger erkennungsdienstlich behandelt. Alles nach Vorschrift? Denkste! Das Buch zählt zur Grundversorgung, und das Buchgeschäft müsste seine Kunden gar nicht kontrollieren. Dussmann tut es freiwillig, „mit Fleiß“, wie man in Bayern sagt. Auskunft der Geschäftsführerin: „Hintergrund ist, dass viele Kundinnen und Kunden, aber auch unsere Mitarbeitenden, kein Verständnis dafür haben, dass man in jeder kleinen Boutique kontrolliert wird, in einem großen Kaufhaus aber unkontrolliert ein- und ausgehen kann.“ Das ist absurd. Was soll es den kleinen Boutiquen denn nutzen, wenn Dussmann die Käufer schlecht behandelt? Der folgende Satz kommt der Wahrheit näher: „Außerdem stellen wir uns damit bewusst hinter das Ziel der Bundesregierung, möglichst viele Menschen zu einer freiwilligen Impfung zu motivieren.“ Dussmann will seine Kunden also zur Selbstkasteiung erziehen, mit Moral beglücken und gibt sich als Büttel der Obrigkeit. Wer nicht geimpft ist, soll sich hier auch keinen Lesestoff besorgen dürfen. Wenn es nach den Betreibern des „Kulturkaufhauses“ geht, ist Kultur also kein Teil der Grundversorgung. Und „Verhältnismäßigkeit“ ist an diesem Ort sowieso ein Fremdwort.

II.

Ich bin endlich drin. Weil ich aber mit maskenbedingt angelaufener Brille die Buchrücken nicht lesen kann, ziehe ich, allein vor einem Regal stehend, den Lappen ein wenig zur Nasenspitze. Sofort steht ein Ladenpolizist neben mir und weist mich wie ein wilhelminischer Schutzmann schnarrend auf meine Verfehlung hin. „Schön, dass Sie in unserem Geschäft die Maske so vorschriftsmäßig tragen.“ Ich sage: „Das Virus steckt in Ihrem Schädel. Dort boostert es Ihnen niemand heraus.“ Man mischt sich sofort auf seiner Seite ein, und ich bin auf der Stelle als asozialer Coronaleugner identifiziert. Bevor die Polizei gerufen wird, verlasse ich voraussichtlich letztmalig den Laden. Die Geschäftsführerin antwortet auf meine schriftliche Beschwerde: „Dass Sie nach der Warteschlange dann auch prompt noch in eine Maskendiskussion von uns verwickelt wurden, ist natürlich äußerst unglücklich. – Vielleicht kurz zur Erklärung: Die Kolleginnen und Kollegen, die teilweise selbst zur Risikogruppe gehören, sehen sich seit fast zwei Jahren der Situation ausgesetzt, dass sich nicht jeder Kunde im Verkaufsraum auch immer angemessen verhält. Leider wurden wir immer wieder von Menschen aufgesucht, die das KulturKaufhaus bewusst als öffentlichen Raum nutzen, um durch provozierendes und übergriffiges Verhalten ein politisches Statement abzugeben. Möglicherweise wurde hier die Situation auf Grund vorheriger Erfahrungen falsch eingeschätzt. Und eine so unhöfliche Ansprache wie Sie sie schildern ist dadurch natürlich nicht zu rechtfertigen. Das tut mir leid.“ Aha! Die Anschnauzenden werden also zu ihrem anmaßenden Ton verleitet von Kundinnen und Kunden, die sich in den Verkaufsräumen nicht angemessen verhalten. Manche Leute gehen offenbar nicht zu Dussmann, um sich mit Büchern zu versorgen, sondern um sich über die verfehlte Covidpoltik aufzuregen und „übergriffig“ zu werden. Mir scheint allerdings, in diesem Betrieb fließt all zu viel Energie in politischen Aktionismus, was das Personal dazu ermutigt, in Käufern nicht Leser zu sehen, sondern Gefährder.

III.

Man stiehlt mir, dem Kunden, nicht nur Zeit durch ungerechtfertigtes Anstehen. Ich muss mich nicht nur beschimpfen lassen, sondern werde auch für politische Zwecke instrumentalisiert. Denn – noch einmal die Geschäftsführerin -: „Als KulturKaufhaus stehen wir damit an der Seite nicht nur des stationären Einzelhandels, sondern des ganzen Kulturbetriebs, dessen wirtschaftliche Grundlage durch die Lockdowns im Kultur- und Veranstaltungssektor extrem gefährdet ist.“ Jetzt wird es endgültig lächerlich. Ausgerechnet der Literaturkonsument soll dafür büßen, dass der Staat die Kultur ohnehin mit unangemessenen Maßnahmen schwer beschädigt. Wie wäre es statt dessen mit solidarischen Aktionen des „Kulturkaufhauses“ gegen die Lockdowns, gegen unverhältnismäßige Behinderung von Kulturveranstaltungen, den menschenfeindlichen Umgang mit Musikern, Schauspielern – und, ja, auch von Schriftstellern, die nicht mehr wie gewohnt öffentlich lesen dürfen, und denen man Festivals und Buchmessen als Plattform gestohlen hat.

IV.

Aber wir sind ja in Berlin, und hier herrscht eine einzigartige Melange aus Verwahrlosung und linksfaschistoidem Pickelhaubentum. Hauptsache im Gleichschritt marsch! Davor graust mir. Als Schriftsteller ist mir die Bedeutung des stationären Buchhandels für die Literatur bewusst. Ich habe deshalb noch nie bei Amazon ein Buch bestellt. Das wird sich jetzt notgedrungen ändern. Dussmann, leider der einzige Buchladen in der Nähe, glaubt, Haltung zu zeigen. In Wahrheit hat das Unternehmen bloß den Verstand verloren.

Kleine Anmerkung des Herausgebers: Es muss nicht immer Amazon sein, lieber Wolfgang, liebe TE-Leser. Wie wär’s hier unten, mit dem TE-Shop?

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