Tichys Einblick
Herles fällt auf

Beste Grüße aus Zürich

Absolut lächerlich, mit welchen Banalitäten wir unsere Zeit und unsere Ressourcen verschwenden. Wo bleibt die Debatte über die Bildung der politischen Klasse?

Es ist kein größerer Unterschied vorstellbar als der zwischen Berlin und Zürich. Die Städte scheinen auf verschiedenen Planeten zu liegen, und es nicht einmal gewiss, ob sie sich um die selbe Sonne drehen. Hier eine Art prästabilisierte Harmonie. Dort das verfasste Chaos. Ich will das hier aber nicht weiter ausführen. Denn ich befinde mich hier für ein paar Stunden wenigstens in einer anderen Wirklichkeit.

I.

Einmal im Jahr treffen sich in Zürich Wissenschaftler, Unternehmer, Künstler auf dem vom Schweizer Schriftsteller Rolf Dobelli erfundenen und organisierten world.minds-Symposium. Eine Frischzellenkur für den Kopf. 16 Präsentationen in sechs Stunden über die Lösbarkeit großer Fragen der Zukunft. Womit werden sich 10-Milliarden-Menschen ernähren? Was revolutioniert die Medizin? Was bewegt uns und wie bewegen wir uns in der Zukunft?

II.

Ohne das geringste Blabla. Das reicht am späteren Abend in Newsshows und Talkshows das Fernsehen nach. Da kann man dann zum Beispiel dem Söhofer beim Aufblähen zusehen. Wochenlang war die Egomanie einiger Provinzpolitiker der Nabel, um den deutsche Politik kreiste. Kann es einen Zeitgenossen von hinreichendem Verstand wirklich noch interessieren, von welcher großen Minderheitskoalition wir am Ende doch nicht regiert werden?

III.

Oshiorenoya Agabi stammt aus Nigeria. Er ist Professor und Startup-Unternehmer im Silicon Valley. Ein Pionier der synthetischen Biologie. Die unfassbar leistungsfähigen Computer der Zukunft sind aus dem selben Material wie unser Gehirn. Die tausendfache Vernetzung der Synapsen ist technologisch herstellbar. Biologie ist Technologie. Nicht irgendwann, heute schon.

IV.

Schulz, immer wieder Schulz. Und Nahles, und die Blondine aus Schwerin, deren Namen mir gerade nicht mehr einfallen will. Eine Partei misstraut sich selbst. Das jedoch abendfüllend seit Wochen. Wir fiebern mit – wenn wir nicht mehr alle Latten am Zaun haben.

V.

Polina Anikeeva sieht aus wie eine lebende Barbiepuppe. Jung, blond, zart, (schön darf man nicht mehr schreiben). Die Professorin am Massachusetts Institute of Technology hat Drähte entwickelt, die so dünn sind wie Nervenbahnen und alles übertragen können, was auch Nervenbahnen übermitteln, nicht nur elektrische, auch chemische, neuronale und mechanische Signale. Die Medizin steht vor revolutionären Durchbrüchen. Noch wichtiger ist nur das Netzwerk aus Ideen, an dem auch hier in Zürich gerade geknüpft wird.

VI.

Das Netzwerk der Berliner Republik wird von selbstvergessenen, machtbesessenen Schwätzern gestellt, die dem Publikum ihre eigene Beschränktheit als Lösung anpreisen. Absolut lächerlich, mit welchen Banalitäten wir unsere Zeit und unsere Ressourcen verschwenden. Wo bleibt die Debatte über die Bildung der politischen Klasse?

VII.

Nicola Spaldin, die britische Materialwissenschaftlerin an der ETH Zürich, ist davon überzeugt, dass die großen Epochen der Menschheit am jeweils technologisch wichtigsten Material festzumachen sind. Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit… Was wird dem Silicon-Age folgen? Sie hat schon eine Lösung, hat ein Material entwickelt, dass die elektromagnetischen und ferromagnetischen Eigenschaften miteinander vereint. Bald beginnt das „multiferroic age“. Aus science fiction wird Realität.

VIII.

Ich weiß auch, dass die eine Wirklichkeit (Berlin) nicht gegen die andere Wirklichkeit (Zürich) einzutauschen ist. Beide existieren nebeneinander. Die eine darf uns nur nicht daran hindern, die andere überhaupt wahrzunehmen. Wir werden zugemüllt von Unwesentlichem, absorbiert von der Dummheit, die diese Welt beherrscht. Und wenn überhaupt, dann diskutieren wir am liebsten über die Risiken des Fortschritts, den Missbrauch der Erfindungskraft. Ja, der Mensch hat auch das Feuer missbraucht. Am besten wir verbieten es. Wenn die Politik wenigstens nichts mehr verhindern würde!

IX.

„Ich denke nicht an die Zukunft, sie kommt früh genug.“ Ein Bonmot, das von unserer großen Aphoristikerin Angela Wir-schaffen-das Merkel stammen könnte. Es ist aber von Einstein.

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