Tichys Einblick
Berlinale

Ein Bär kommt auf den Hund

Claudia Roth, ohnehin mit ihrer Aufgabe überfordert, begreift nicht, was in Berlin und Kassel und sonstwo geschieht, das bräuchte mehr als einen antrainierten Staatsräson-Reflex. Deshalb muss sie gehen. Bleibt Berlin bei seiner Linie, sollte das Festival nach Dahomey auswandern. Oder nach Gaza-Stadt.

Die große Tradition der Berliner Filmfestspiele wird seit Jahren gecancelt – von den Festspielen selbst und von linksgrüner Kulturpolitik.

I.

Jahrzehntelang glänzte Berlin neben Cannes und Venedig mit dem dritten der großen A-Festival des Films. Seit Jahren schon kann die Berlinale jedoch mit den beiden anderen nicht mehr mithalten, spätestens seit Dieter Kosslick 2019 die Leitung abgab. Aber das ficht in Berlin niemanden an. Da es der Potsdamer Platz ohnehin klimatisch nicht mit dem Lido und der Croisette aufnehmen kann, hält man Düsternis für ein Konzept, und brüstet sich in der Überzeugung, ein politisches Festival, also den beiden glamouröseren moralisch überlegen zu sein. Es ist der übliche Berliner Selbstbetrug, gekoppelt mit der irrigen Idee, es käme in der Kultur – auch im Kino – nur auf das richtige Bewusstsein an. So spielt bei der Berlinale die künstlerische Qualität der ausgewählten und prämierten Filme so gut wie keine Rolle mehr. Die vorgeschriebene Haltung entscheidet. In diesem Sinne haben Kulturpolitiker in Bund und Land den Niedergang der Berlinale nach Kräften befördert. Das ist der erste, der größte von drei Skandalen.

II.

Schon im vergangenen Jahr fand die Jury keinen der zum Wettbewerb eingeladenen Spielfilme für den Goldenen Bären gut genug. Das wiederholte sich heuer. Wiederum bekam deshalb ein Dokumentarfilm den höchsten Preis. Aber selbst dabei wurde nicht filmische Klasse prämiert, sondern die in postkolonialer Mode stehende Gesinnung. Der Bär ging an „Dahomey“ einem gerade einmal eine Stunde langen Machwerk der Regisseurin Mati Diop, angesiedelt zwischen Politkitsch und Propaganda. Es geht um die Rückgabe von afrikanischer Kunst aus Frankreich an den Benin. Hauptdarsteller ist eine sprechende Plastik, König Ghezo darstellend, der in dem Streifen zum Widerstandskämpfer gegen das Kolonialregime verfälscht wird, in Wahrheit aber einer der schlimmsten Massenmörder, Despoten und Sklavenjäger der afrikanischen Geschichte war. Da aber nach postkolonialer Lesart Afrikaner nur Opfer und Europäer nur Täter gewesen sein können, schwimmt die „dokumentarische“ Umdichtung auf den Wogen des woken Zeitgeistes. Eine postkoloniale Lüge erhält den Goldenen Bär, der damit beschädigt und entwertet wird. Das ist der zweite Skandal.

III.

Womit wir beim dritten, in den Vordergrund geratenen Skandal sind. Die preisgekrönte Geschichtsfälscherin fälschte bei der Siegerehrung gleich noch einmal. Nicht sie allein. Eine ganze Reihe der von der Berlinale gekrönten Filmschaffenden attackierte Israel, stieß Parolen aus gegen das angebliche „Genozid“ des Militärs an Palästinensern, ohne das Genozid der Hamas zuvor auch nur zu erwähnen. Mancher Teilnehmer stellte die Existenz Israels in Frage. Man hätte darauf wetten können, dass dies geschehen würde. Aber die Festspielleitung gab sich überrascht, war in ihrer (gespielten?) Naivität weder darauf vorbereitet noch in der Lage, adäquat zu reagieren. Schlimmer noch. Die grüne Kulturstaatsministerin Roth wie auch der Regierende Bürgermeister Wegener applaudierten – ob aus Versehen oder Überzeugung oder Konformismus, ist schwer zu sagen. Nicht nur sie, auch die gesamte im Saal versammelte Kulturschickeria. Man fragt sich unwillkürlich, ob auch die Ausgeladenen von der falschen Partei mitgeklatscht hätten – oder ob sie auch ausgeladen wurden, um genau das zu verhindern, handelte es sich doch um vermeintlich astreine Nazis. Vielleicht wollte man aber auch nur verhindern, dass jemand NICHT dem Israelhass auf der Bühne Beifall spendet, wer weiß das schon so genau?

IV.

Das Ereignis ist in der Sache mit den antisemitischen Ausfällen bei der Documenta in Kassel nicht zu vergleichen, aber das Muster des kulturpolitischen Versagens ist dasselbe. Erst sich blauäugig blöd stellen, dann Entsetzen heucheln. In allen drei Skandalen steckt derselbe Kern. Identitätspolitische Verwirrungen nisten in den Köpfen der Verantwortlichen. In Büßerhaltung gewährt sie jedem Unsinn freien Eintritt, der im Namen des „globalen Südens“ angeschleppt wird. Deshalb wird Israel als weißes, westlich orientiertes Land angegriffen, deshalb vermischt sich der Israelhass, der in der internationalen Kulturszene grassiert, mit Antisemitismus. Die Verantwortlichen dürfen sich jetzt nicht darauf zurückziehen, dass Kunst- und Meinungsfreiheit höchste Priorität genießen. Jemand wie Claudia Roth, ohnehin mit ihrer Aufgabe überfordert, kann das, was in Berlin und Kassel und anderswo geschieht, nicht begreifen, dazu bräuchte sie eine andere Gesinnung, nicht bloß einen antrainierten deutschen Staatsräson-Reflex. Deshalb muss sie weg. Oder Berlin bleibt seiner Linie treu. Dann sollte das Festival nach Dahomey auswandern. Oder nach Gaza-Stadt.


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