Tichys Einblick
Kein Bissen ohne schlechtes Gewissen

Bauern und Verbraucher: Anmerkungen zu einer Beziehungskrise

Der Verbraucher ist keineswegs König Kunde, so wenig wie er als Wähler von den Parteien als mündiger Bürger behandelt wird. Er muss fortlaufend beschützt werden vor sich selbst. So kommt es, dass er als Verbraucher oft anders handelt, als er als Bürger denkt.

Bauernproteste in deutschen Städten. Gleichzeitig beschließt der Bundestag neue Bekehrungsversuche der Verbraucher mittels unsinniger Warnhinweise auf Lebensmitteln. 

I.

Zu den zunehmenden Spaltungen in dieser Gesellschaft zählt auch die zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Beide haben ein eigenes Ministerium, die gegeneinander arbeiten. Das Verbraucherministerium finanzierte aus Steuermitteln vor zwei Jahren zum Beispiel eine seltsame Hetzkampagne gegen die Bauern. „Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein“, hieß es. Der Spruch ist in jeder Hinsicht Mist. Ist es den Bauern vorzuwerfen, wenn die Verbraucher von Ackerbau und Viehzucht keinen Schimmer haben?

II.

Heute sind die Bauern nur noch ein Rad in der globalen Maschinerie des Agrobusiness. (Den hässlichen Ausdruck verwendet sogar der Bauernverband.)  Es ist Big Business. Dazu zählt alles zwischen Farm and Fork, Pflug und Pfanne. Wenige Großkonzerne kontrollieren die Saatgut-, Agrarchemie- und Landtechnikindustrie. Und am Ende stehen ganz wenige Handelsketten im Einzelhandel. Die Lebensmittelkonzerne diktieren die Preise. Die Bauern sind zwar keine Leibeigenen mehr, stecken aber im Schwitzkasten des Kapitals und der Konzerne. Dazu reglementieren EU und Staat und machen sie mit Subventionen abhängig.

III.

So wird der Landmann in den unseligen Wettbewerb um immer höhere Produktivität eingespannt. Rekordjagd auf dem Acker, Rekordjagd im Stall. Wer aus Not oder Gier nur die rentabelsten Pflanzen anbaut, und die biologischen Bedingungen ignoriert, statt die Böden zu schonen und etwa zwischen Weizen, Raps und Gerste abzuwechseln, muss sich über die Folgen nicht wundern. Den Preis für die Agrarwende aber wollen die deutschen Verbraucher nicht zahlen. Artgerechte Tierhaltung verteuert das Fleisch um vierzig Prozent. Und die Bio-Label gaukeln eine Lösung nur vor. Bei vielen Bioprodukten ist die Ökobilanz nicht besser als im konventionellen Landbau. Längst diktieren die Konzerne auch hier die Preise – und auch bei Bio gilt bereits: Hauptsache billig. Auch die meisten Bio-Bauern sind  abhängige Lieferanten von Riesen, denen es nur um Renditen geht, nicht um Tierwohl und  schon gar nicht um Bauernwohl.

IV.

Der Verbraucher wiederum ist keineswegs König Kunde, so wenig wie er als Wähler von den Parteien als mündiger Bürger behandelt wird. Er muss fortlaufend beschützt werden vor sich selbst. So kommt es, dass er als Verbraucher oft anders handelt, als er als Bürger denkt. Der Bürger lehnt Massentierhaltung ab, kauft jedoch als Verbraucher bedenkenlos 600 Gramm Nackensteak für 1.99 Euro. Die Freiheit der Auswahl wird als Konsumterror denunziert, aber im Laden lässt sich der Verbraucher den Geschmack uniformieren, begnügt sich mit drei Sorten Äpfel oder Kartoffeln, wenn er nicht ohnehin lieber zu Fertigprodukten greift. Selbstredend hält sich der Verbraucher für einen kritischen Verbraucher. Also glaubt er an Verbraucheraufklärung. Die Verbraucheraufklärung aber ist längst selbst ein Markt. Lifestyle, Mainstream, Propaganda: Wie frei ist er noch, der Konsument? Früher war der Verbraucher vor allem Versorger. Versorger hatten Angst vor dem Mangel. Verbraucher haben nur noch Angst vor falscher Ernährung. Statt besser zu essen, lassen sie sich Schuldgefühle einreden. Sie sollen bei Tisch jetzt auch noch das Klima retten. Kein Bissen ohne schlechtes Gewissen.

V.

Vor allem aber ist es die deutsche Geiz-ist-geil-Mentalität, die sich nicht verträgt mit notwendigen Reformen. Und wieder sitzen die Bauern in der Klemme zwischen Industrie und Verbrauchern, und die Politik nimmt auf sie kaum noch Rücksicht – ist ja nur noch eine kleine Minderheit. Die Bienen werden mittlerweile besser geschützt als die Bauern.

Mehr zu diesem Thema in meinem neuen Buch: Vorwiegend festkochend. Kultur und Seele der deutschen Küche, gerade erschienen im Penguin-Verlag.

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