Nicht das Ergebnis der jüngsten Wahlen kann verblüffen, sondern nur, wie die Verlierer auf das Desaster reagieren, das sie sich selbst zuzuschreiben haben. Wie traumwandlerisch sie auf dem eingeschlagenen Irrweg in den eigenen Abgrund tanzen. Wie schwer es ihnen fällt, sich an der Realität zu orientieren. Ihre Unfähigkeit, sich zu ändern, ihr Unwille, diesem Land zu dienen. Stärker als der Selbsterhaltungstrieb sind eine verquere, besserwisserische Moral, beziehungsweise noch immer selbstgefällige Verbohrtheit.
I.
Die FDP: ein Gespenst. Es ist ja nicht so, als sei Deutschland liberal genug. Im Gegenteil: Von linksgrünem Furor überrollt, ist dieses Land von der Klimapolitik bis zum Meinungsklima erschreckend illiberal geworden. Die FDP hat daran mitgewirkt. Sie erweist dem Liberalismus noch immer einen Bärendienst und ergötzt sich daran in der Illusion, Schlimmeres zu verhüten. Die Mehrheit der Wähler nicht nur im Osten identifiziert die FDP jedoch mit dem Verhängnis, das sie nicht verhindern konnte. Die Partei mit dem Wort „frei“ im Namen, will nicht zur Kenntnis nehmen, dass sie aus ihrem zielstrebig angerichteten Dilemma nicht mehr heraus findet. Bei den Bundestagswahlen in einem guten Jahr wird sie untergehen – unabhängig davon, ob sie bis zum bitteren Ende in der Regierung weiterwurstelt oder die Ampel verlässt. Wäre sie in der Lage, dies zu kapieren, sähe sie ein, nur noch dass es besser wäre, wenigstens in aufrechter Haltung unterzugehen, und den spärlichen Resten liberalen Gewissen zu folgen. Die Fortschrittskoalition ist ein schlechter Witz. Sie aus eigenen Stücken beendet zu haben, könnte der FDP einen Rest an Stolz bewahren. Nicht einmal aus Angst vor Neuwahlen also muss die FDP an den Ämtern kleben.
II.
1982 wählte Die FDP Hans-Dietrich Genschers per konstruktivem Misstrauensvotum Helmut Kohl zum Kanzler und stürzte Helmut Schmidt. Diese Macht hat sie nicht mehr. Da davon auszugehen ist, dass sich kein CDU-Kanzler von der AfD wählen lassen will und die Linke ihn nicht wählen würde, käme selbst mit CDU/CSU, FDP plus Gruppe BSW und ein paar Fraktionslosen keine Mehrheit zustande. Scholz wäre also nach dem Ausscheiden der FDP aus der Regierung immer noch Kanzler einer Minderheitsregierung. Paradoxerweise würde ihm das – bis zu den Wahlen – auch mehr Luft gegenüber den Grünen verschaffen. Aber dazu bedürfte es eines Kanzlers mit erkennbarer Agenda und nicht nur eines Winkeladvokaten, den nicht die eigene Brillanz, sondern nur die Dummheit seiner Kontrahenten ins Amt gebracht hat.
III.
Die SPD: ein Gespött. In ihrem erbärmlichen Zustand kapiert die ehemalige Volkspartei der kleinen Leute gar nichts mehr, hält schon den Verbleib in den Landesparlamenten von Sachsen und Thüringen für einen Erfolg. Aus Scham zu erröten – nicht einmal dazu reicht es mehr bei den „Roten“. Ein Schatten ihrer selbst, wird Scholz zum besten Kanzler aller Zeiten (Lauterbach) verklärt. Die Parteiführung (Esken, Klingbeil, Kühnert): Lost in Transformation. Das Mindeste, was nun geschehen müsste, wäre, vor den Bundestagswahlen Kanzlerzombie Scholz aus dem nächsten Rennen zu nehmen. Boris Pistorius ist ungleich beliebter als Scholz. Mit ihm könnte die SPD wenigstens versuchen, den Wählern etwas vorzumachen. Ideologische Beinfreiheit hätte auch Pistorius nicht. Aber er könnte eine gewisse Aufbruchstimmung erzeugen. Nur wird es so weit nicht kommen, weil die SPD ihre Politik und die Ampelkoalition alles in allem für einen Segen hält, und alle Kritik daran nur für ein Kommunikationsproblem.
IV.
Die Grünen: eine Gefahr. Auch ihnen fehlt jede Einsicht in das eigene Versagen. Das ist nur damit zu erklären, dass sie mehr Sekte sind als Partei. Sie können nur noch glauben. An sich selbst. Sie sind in der Tat die schlimmste Partei, weil sie weit über das Maß ihrer Sitze im Bundestag hinaus die Politik bestimmen. Es besteht die begründete Hoffnung, dass sie die Lufthoheit über den Stammtischen verlieren. Doch allzu viel haben sie – und diejenigen, die ihrem Kurs gefolgt sind (denken wir nur an den größte deutschen Industrie-Konzern VW) schon zerstört. Die Grünen sind in den Zustand der Selbstzerstörung übergegangen – und mit ihnen alle, die ihnen ideologisch folgten. Das ist die eigentliche Tragödie dieses Landes.
V.
Ein Staat, der sich übergriffig und autoritär gebärdet, aber seine wichtigsten Aufgaben verfehlt, ist nicht durch abwegige Koalitionsscharaden zu retten. Die notwendige Politikwende kann nicht gelingen, solange ideologisch unvereinbare Parteien nur miteinander koalieren, um etwas zu verhindern. Die Versager dürfen noch immer auf Teilnahme an der Macht hoffen, damit – wie nun in Thüringen und Sachsen und demnächst vielleicht auch in Berlin – die AfD aus dem Spiel um die Macht ausgeschlossen bleibt. Die Parteiendemokratie Deutschlands blockiert sich auf diese Weise selbst. Damit sich die Krise nicht zur Staatskrise auswächst, müssen sich alle ändern. Auch die Bäume der AfD werden nicht in den Himmel wachsen, solange sie sich nicht häutet. Wir sind wieder am Anfang dieser Kolumne: Liberalisierung tut not, rechts wie links bei den Grünen ebenso wie bei der AfD. Es ist der tiefe Grund der Krise: Diese Demokratie ist verhärtet, in sich selbst verknotet.