Täglich steigt die Flut schlechter Nachrichten. Nichts wird mehr gut. Die Sorge drückt, wie wir die nächsten Jahre, wie die sich einander überlappenden Krisen überstehen können. Ich bin mal wieder ratlos. Meine leichtblütigere Freundin macht ein paar Vorschläge.
I.
Schau einfach keine Nachrichten mehr. Schalt aus! Igle dich ein. Wandle dich zum Stoiker! Wie das geht? Nichts einfacher als das. Du musst nur durch Selbstbeherrschung dein Los akzeptieren und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe nach Weisheit streben. Und bitte brüll mich nicht an! Ich habe dir nichts getan.
II.
Nachdem ich mich beruhigt habe, mache ich einen Gegenvorschlag. Wie wär’s mit Widerstand. Als ich gestern in einem Biergarten nach der zweiten Maß lautstark zur Revolution aufrief, hoben sich an den Nachbartischen gleich mehrere Daumen. Meine kluge Freundin antwortet: Und dann? Wer soll den Laden übernehmen? Willst du es tun? Fällt dir sonst jemand ein? Fällt mir nicht.
III.
Damit ich nicht ganz der Resignation verfalle, meint die Freundin: Du brauchst nur etwas Geduld. Der Umsturz kommt von allein. Weil bald keiner mehr zum Wählen geht. Siehe Frankreich. Dort hat die bürgerliche Mitte schon weitgehend kapituliert und macht einfach nicht mehr mit. Das nächste wird eine heilsame Anarchie sein. Aber was habe ich davon, sage ich.
IV.
Die Freundin sagt: Wozu hast du dich in deiner Jugend eigentlich noch mit Bildung gequält! Jetzt kannst du etwas daraus machen. Such dir eine intellektuelle Nische für die letzten zehn bis zwanzig Jahre. Lies, bis du blind bist! Setzt Kopfhörer auf, und hör nur noch deine Musik! Verlier dich in den schönen Künsten. Also ab nach Kassel, sage ich.
V.
Schreib alles auf, all die schönen Erinnerungen an die goldenen Jahre der Bonner Republik. An Wachstum, Zuversicht und Sex. Wozu sind Erinnerungen da, wenn nicht dazu, von der beschissenen Gegenwart abzulenken? Ich vergesse mich gleich, sage ich.
VI.
Die Freundin: dann Kiffen! Das wenigstens werden die Ampelfrauen und Hampelmänner noch hinkriegen. Sie haben es versprochen. Manchmal helfen auch Entspannungsbäder. Den Energieverbrauch steh ich nicht durch, sage ich.
VII.
Dann hau ab! Weg von hier, ehe es zu spät ist. Wohin? Ganz egal. Irgendwohin, wo es auch nicht besser ist. Hauptsache fort. Vielleicht nach Uruguay. Uruguay?, sage ich, da war ich schon mal, ist aber lange her. Darauf sie: Wenn du schon überall gewesen bist, brauchst du auch nirgends mehr hin. Und du entlastest damit die Flughäfen. Und das Klima, füge ich hinzu.
VIII.
Die sonst so sensible Freundin verwendet nun einen Satz, bei dem ich seit längerem regelmäßig an die Luft gehe, wenn ich ihn höre, und ich höre ihn jeden Tag. Hauptsache, wir bleiben gesund, sagt sie. Nach allem, was zu hören ist, geht es im Herbst wieder von vorn los, nur dass Lauterbach inzwischen seinen eigenen Worten nicht mehr traut. Was will man mehr, als unter allen Umständen gesund bleiben. Darauf sollten wir uns jetzt mit letzter Kraft konzentrieren. Ich schüttle stumm den Kopf.
IX.
Mach dir wenigstens klar, dass alles noch viel schlimmer kommen kann. Der 3. Weltkrieg steht praktisch vor der Tür. Wenn die Russen Litauen angreifen, ein Nato-Land, ist die Bundeswehr direkt involviert – und das ohne Munition. Also sei froh, wenn nur Gas und Geld hin sind. Alles ist hin, stimme ich zu.
X.
Deshalb brauchen wir jetzt endlich eine echte Megakrise, gegen die das alles abstinkt. Hast du schon von dem Kometen gehört, der sich der Erde nähert? Zu Weihnachten soll er da sein.