Tichys Einblick
Mit Adenauer rauf, mit Kohl runter

75 Jahre CDU: Anmerkungen zu einem Jubiläum.

Der Wiedervereinigung hat Kohl die D-Mark geopfert und geglaubt, die DDR werde gemeinsam mit der Bonner Republik in einem europäischen Bundesstaat aufgehen. Doch er hat die fehlenden ökonomischen Vorraussetzungen ignoriert. Die Erweiterungsorgie um fast jeden Preis hat die EU nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Die CDU ist die Partei, der die Bonner Republik zu verdanken ist. Dieser Satz enthält alles, was dreißig Jahre nach dem Ende des bürgerfreundlichsten Staates der deutschen Geschichte, über die CDU noch zu sagen ist. Es gibt diesen Staat nicht mehr – auch das hat die CDU geschafft. Und die CDU selbst hat mit der Partei, die sie einmal gewesen ist, nicht mehr viel zu tun.

I.

Vergangenheit. Die Bonner Republik war die Republik Konrad Adenauers, des wichtigsten Gründervaters der CDU. Eine Mann, der keine Umfragen brauchte, um zu wissen, wo er stand. Er stand im bürgerlichen Lager. Etwas, das niemand mehr definieren kann. Adenauer war kein Nationalist. Er war ein Verfassungspatriot – auch dies mittlerweile ein verpöntes Wort. Er wusste, dass nie wieder irgend etwas am deutschen Wesen genesen sollte. Heute leidet seine Partei an Vergesslichkeit, was die eigene Geschichte angeht. Adenauer hatte schwere Kämpfe gerade auch in der eigenen Partei zu bestehen. Er wusste, weshalb er gegen eine sozialistische Wiedervereinigung zwischen den Blöcken war. Westbindung, soziale Marktwirtschaft: Nichts davon war selbstverständlich damals. Dass es so kam, verdanken wir dem Sieg Adenauers über den nationalistisch-preußisch-protestantischen Flügel der CDU eines Jakob Kaiser. Adenauer war ein Konservativer, der noch begriff, wo der Gegner stand: Das Wort Wert besaß noch einen Wert. Ein Liberaler war Adenauer nicht. Dazu war sein Misstrauen gegenüber den Deutschen zu groß. Nach ihm hat sich die Gesellschaft liberal geöffnet. Eine kurze Phase. Während sie sich heute wieder  ideologisch verengt.

II. 

Dass es die Bonner Republik nicht mehr gibt, ist Kohl – zu verdanken. Besten Dank. Inzwischen ist er so gut wie heilig gesprochen, wegen der Wiedervereinigung. Ihr hat er die D-Mark geopfert. Er hat geglaubt, die DDR werde gemeinsam mit der Bonner Republik in einem europäischen Bundesstaat aufgehen. Dabei hat er die fehlenden ökonomischen Vorraussetzungen ignoriert. Die Erweiterungsorgie um fast jeden Preis hat die Europäische Union nicht gestärkt, sondern geschwächt. Außerdem hat Kohl völlig verkannt, welche nachhaltige Wirkung die Mentalität der DDR-Gesellschaft auf das neue Ganze haben wird. Und die DDR-Bürger, die sich nach nichts anderem sehnten, als nach der Bonner Republik, mussten schnell feststellen, dass das Gelobte Land  ebenso verschwunden war wie die DDR. Ein Trauma zuviel. Das real existierende Ergebnis trägt folgerichtig den Namen einer (ehemaligen) protestantisch-preußisch-kommunistischen Opportunistin mit machiavellistischen Talenten. Von ihr hat sich die CDU endgültig in ein Niemandsland manövrieren lassen.

III.

Adenauer war kein Ideologe, sondern ein Mann von Instinkt. Er hatte die Tragödie der deutschen Geschichte verstanden und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. Sie hatte nicht mit Hitler begonnen, sondern viel früher – mit dem Scheitern der 48er-Revolution und dem Aufstieg Preußens zur Großmacht. Kohls naives Geschichtsbewusstsein ignorierte es. Und die Ostdeutsche hat sich erst gar nicht dafür interessiert. Aber es hat auch niemand in der CDU versucht, es ihr zu erklären. Auf einmal war sie da. In den Ruinen der Bonner Republik gründete sie ihr Reich. Irgend etwas zwischen DDR-light und BRD-light.

IV.

Das Christliche war nie das Entscheidende, einzig Verbindende in der CDU gewesen. Die Union wollte den konfessionellen Geist der Zentrumspartei neutralisieren. Das gelang. Seitdem haben sich beide Kirchen vom bürgerlichen Fundament davon gestohlen. Sind sie der Ostdeutschen gefolgt oder die Ostdeutsche instinktiv den repolitisierten Kirchen? Oder alle zusammen nur dem Zeitgeist nachgerannt? Fortschrittsfeindlich, moralistisch, besserwisserisch? Jedenfalls steht die Ostdeutsche den Kirchen nicht so fern wie der CDU.

V.

Die CDU war einmal die Partei der Ordnungspolitik. Nur noch ein paar Versprengte wissen überhaupt noch, was das ist. Woher der Wohlstand kommt und wie er zu bewahren wäre. Der Geist Ludwig Erhards hat den Verein fluchtartig verlassen. Wenn die Frau, deren Namen ich noch immer nicht nenne, über Erhard redet, hört sie sich an wie eine Blinde, die von Farbe alles besser weiß. 

VI.

Als letzte Volkspartei darf sich die CDU wieder vorkommen. Auferstanden dank eines Virus, aber ein Schatten dessen, was von 75 Jahren entstanden war. Die CDU lebt gerade von der Angst der Leute. Die gegenwärtig hohen Zustimmungswerte täuschen. Sie werden mit dem Virus verschwinden. Wenn einer die Maßnahmenorgien nicht mitmachen will, kriegt er gleich eins auf die Mütze. Nicht wahr, Herr Laschet! Rheinische Frohnaturen haben es schwer in dieser Untertanen-Partei. Die CDU ist weitgehend verkommen zu einem Funktionärsclub. Vorbei die Zeiten, in denen profilierte Köpfe mit erfolgreichen Lebensläufen und Erfahrungen sich der Partei zur Verfügung stellten: Richard von Weizsäcker, Kurt Biedenkopf, Lothar Späth. Seiteneinsteiger haben nichts mehr zu melden, und sie melden sich auch nicht mehr. Allenfalls träumen sie wie Friedrich Merz von einem Come back. Wenige Talente scharren allzu gehorsam mit den Hufen: Mögen sie Spahn heißen oder Linnemann. Den einen kennt man nur dank des Virus, den anderen kennt man noch gar nicht. Dafür sorgt Mutti.

VII.

Die Union als bloße Karrierevereinigung verrät ihren Ursprung und ihren Auftrag. Sie müsste erst wieder lernen, den Diskurs über die Zukunft dieses Landes zu führen. Das würde mehr bedeuten, als orientierungslos zwischen Groko und Grüko zu schwanken und  sich mehr oder weniger hurtig von linken, antibürgerlichen Parteien den Takt schlagen zu lassen. Dem Zeitgeist hinterher zu rennen und dabei noch immer tief gebückt der ewigen Kanzlerin zu folgen, so lange, bis sie eben nicht mehr da ist – das ist noch kein neues Konzept für die Zukunft der Union.  

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