Tichys Einblick
Helds Ausblick 14-2019

Über den Satz „Die Nahrungsmittel sind zu billig“

Es gibt eine weltweite Knappheit bei den Nahrungsmitteln. Eine „Agrarwende“ von der konventionellen zur „ökologischen“ Landwirtschaft würde diese Knappheit noch zusätzlich und leichtsinnig verschärfen.

Die Welt hat Hunger. Sie hat sogar immer größeren Hunger bei begrenzten räumlichen Möglichkeiten. Im Jahr 1950 standen weltweit noch 5.000 Quadratmeter pro Kopf für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. Im Jahr 2050 werden es nur noch 1.750 Quadratmeter sein. Es gibt also eine zunehmende fundamentale Knappheit. Und das erzeugt einen Druck in Richtung höherer Preise, der nur durch eine erhöhte Produktivität der Landwirtschaft, durch höhere Überschüsse nach Abzug der Aufwandskosten also, bewältigt oder wenigstens gemäßigt werden kann. In diesem Sinn könnte man sagen, dass die heutigen Nahrungsmittelpreise eher eine Tendenz nach oben als nach unten haben. Und dass deshalb die Erhaltung und Weiterentwicklung der Produktivität der Landwirtschaft das erste Gebot dieses Jahrhunderts ist. Die Welt steht vor härteren Zeiten. In dieser härteren Welt werden die industriellen technischen Mittel nicht weniger wichtig, sondern wichtiger. Und das gilt auch für die Traktoren, die zum Symbol der Bauerndemonstrationen geworden sind.

Aber der Satz „Die Nahrungsmittel sind zu billig“ wird noch in einem anderen Sinn gebraucht. Er will dann sagen, dass die Preise in diesem Bereich willkürlich und leichtsinnig niedrig gehalten werden. Dass man, bei einigem guten Willen, sie auch erhöhen könnte – einfach so, ohne dass es woanders gravierende Folgen hätte. Hier wird die Formel von den „Billig-Nahrungsmitteln“ zu einer jener moralischen Patentformeln, die in unserer Zeit immer dann in Umlauf gebracht werden, wenn es Schwierigkeiten gibt: Zahlt doch einfach mehr! Warum wollt ihr das nicht tun, ihr Bösen?

Von dieser Patentformel wird auch jetzt wieder eifrig Gebrauch gemacht. Um nicht ihre belastenden Normen zurücknehmen zu müssen, stellen die Regierenden den Bauern eine Lösung durch Erhöhung der Erzeugerpreise in Aussicht. Dafür sollen die Verbraucher höhere Preise für Nahrungsmittel akzeptieren – so als handele es sich nur um eine Bagatelle, die bei einem Haushalt nicht weiter ins Gewicht fällt.

So wird hier auch gleich ein zusätzlicher Anspruch eingebaut: Denn es soll nicht bei den konventionellen, mit industriellen Mitteln von den Bauern hergestellten Agrarprodukten bleiben, sondern es sollen nun „Bio-Produkte“ sein, die ohne einen Großteil der industriellen Mittel hergestellt werden und daher noch einmal zusätzlich teuer sind. So bekommt die an sich richtige Aussage, dass wir mit höheren Kosten für unsere Nahrung rechnen müssen, eine ganz andere Wendung. Sie transportiert eine erhöhte Anspruchshaltung der (städtischen) Konsumenten und zusätzliche Anforderungen an die Bauern. Das ist, vor dem Hintergrund der Weltlage, eine Sonder- und Luxus-Agrarpolitik.

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Die harten Grenzen der Bio-Landwirtschaft – In der Wochenausgabe der „Frankfurter Allgemeinen“ (Nr. 49/2019) steht ein Interview mit dem Bauern Maximilian Kirsten aus Brandenburg (Herzberg an der Elster), der einen konventionellen Ackerbaubetrieb führt, während zugleich (von seiner Mutter) dort eine ökologische Kälberaufzucht betrieben wird. Für ihn zeigt sich immer deutlicher eine Grenze, die einer Ausweitung der Bio-Landwirtschaft entgegensteht und die sich nicht wegreden lässt:
„Die Nachfrage nach Bioprodukten ist einfach nicht da. Unser Nachbarbetrieb muss sein Biogetreide zum Preis konventioneller Ware verkaufen. Und wir suchen händeringend nach Abnehmern für unsere Biokälber. Am Ende verkaufen wir sie dann gerade so kostendeckend und an einen konventionellen Mastbetrieb. Das ist traurig. Alle schreien Bio, aber keiner will dafür bezahlen.“
Es zeigt sich also, dass eine Verlagerung auf immer höhere Qualitätsstufen und Reinheitsansprüche, nicht der Königsweg ist, der aus dem Kostenpreis-Problem elegant herausführt. Er verschärft vielmehr dies Problem und führt in eine Sackgasse.

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Die Preisunterschiede sind keine Kleinigkeit – Die Tatsache, dass die Nachfrage nach Bioprodukten „einfach nicht da ist“, liegt nicht an irgendeinem Charaktermangel („Geiz“, „Unwissenheit“) der Konsumenten, sondern ist wohlbedacht. Ich habe aus gegebenem Anlass einfach mal einen Preisvergleich gemacht, ein paar Tage nach der Bauerndemonstration, in Berlin-Moabit, zwischen der großen Lebensmittelkette, bei der ich einkaufe (Rewe) und dem LPG-Bio-Markt, ein größerer (genossenschaftlicher) Bio-Anbieter in Berlin-Brandenburg. Meine kleine Vergleichsliste, die kein repräsentativer Warenkorb ist, sieht so aus:

Wenn man eine Mitgliedskarte bei der Bio-Genossenschaft erwirbt (für 17,90 Euro pro Monat), reduzieren sich Preise um ca. 15-20 Prozent, aber auch sie liegen noch erheblich über den Preisen der konventionellen Nahrungsmittel im Supermarkt.

Man sieht sofort: die Preisunterschiede sind immens, gerade auch bei ganz alltäglichen Lebensmitteln. Würde die Bio-Landwirtschaft zur Regel-Landwirtschaft, wäre das ganze Land mit einer wirklich drastischen Erhöhung der Ernährungskosten konfrontiert. Das gesamte Budget eines durchschnittlichen Haushaltes würde sich dramatisch verschieben. In vielen Fällen wäre die Gesamtheit elementarer Kosten (Miete, Strom, Wasser, Heizung, Kleidung, Nahverkehr, Telekommunikation, Bildung) nicht mehr zu bezahlen, von Kultur, Sport, Reisen ganz zu schweigen. Es würde aber auch nicht mehr möglich, an der einen oder andere Stelle zu höherwertigen, besonderen Lebensmitteln zu greifen. Sie würden wieder ein extremer Luxus.

Und bei den Lebensmitteln kann man nicht auf andere Güter ausweichen. Man sollte hier an die Sorgen denken, die die Erhöhung der Wohnkosten (Miete) in vielen Großstädten ausgelöst hat. Und dort könnte man immerhin sagen, dass nicht alle in Großstädten wohnen müssen und man in vielen Fällen auf dezentrale Lage und kleinere Orte ausweichen kann. Bei der Ernährung ist dies Ausweichen viel schwieriger.

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Die Ernährungskosten schlagen auf die ganze Volkswirtschaft durch – Zugleich schlägt die drastische Erhöhung der Ernährungskosten, die eine solche „Agrarwende“ bedeuten würde, auf die gesamte Volkswirtschaft und das ganze Land durch. Denn sie beansprucht einen größeren Anteil der Haushalts-Einkommen und entzieht anderen Märkten Kaufkraft – zum Beispiel bei Kleidung, Wohnung, Mobilität, Information, Reisen, Sport, Kultur.

Das Gleiche gilt übrigens für die Verteuerung von Energie im Zuge der „Klima-Rettung“ (entweder durch Steuern oder durch Emissions-Zertifikate). Auch hier stehen krasse Preiserhöhung in Aussicht. Jetzt wird mit einem Zertifikats-Preis von 10 Euro angefangen, aber schon ertönt der Ruf, dass er höher sein muss – die Grünen sprechen schon von 80-100 Euro. Auch hier gilt: Der Anteil, den Energiegüter (bei Verkehr, Heizung, Produktion) im Budget der Haushalt und einer ganzen Volkswirtschaft einnehmen, wächst – auf Kosten der anderen Güter und Dienstleistungen. Die „Agrarwende“ wird also zusammen mit der „Energiewende“ und der „Verkehrswende“ einen verheerenden Einschnitt bedeuten.

Doch ist es hier wichtig, ein Merkmal zu unterstreichen: Dies alles geschieht durch eine zusätzliche und willkürliche Verschärfung von Knappheiten. Die konventionelle Landwirtschaft steht schon unter erheblichem Preisdruck. Zum Beispiel sind die Bodenpreise für Agrarland in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, ohne dass die Bodenproduktivität pro Hektar im gleichen Maß zugenommen hat. Die Umweltschutz-Auflagen des Agrarpakets der Bundesregierung und die Bio-Landwirtschaft belasten die Bodenproduktivität zusätzlich. Dazu kommt der erhöhte Flächenbedarf durch Energiepflanzen im Zuge der „Energiewende“.

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Vor einem schwierigen Ernährungs-Jahrhundert – Damit kommen wir zurück zum Ausgangspunkt dieses Beitrags: den schwierigen Grundbedingungen dieses Jahrhunderts. Es geht darum, die allgemeine, unvermeidliche Verschärfung der Produktions- und Lebens-Bedingungen in diesem Jahrhundert von der zusätzlichen, willkürlichen, ideologischen Verschärfung durch die verschiedenen „Wenden“ zu unterscheiden. Nimmt man die erste Verschärfung ernst, muss sich der Blick auf die Arbeitswelt der Bauern richten, auf die Produktionssphäre der Landwirtschaft. Hier finden sich die guten Gründe, warum die normale, konventionelle Landwirtschaft bestimmte Belastungen der Umwelt – zum Beispiel des Wassers – in Kauf nimmt, und warum sie auch in einem beträchtlichen Maß Düngemittel auf den Boden ausbringt. Man darf nicht so tun, als wäre auf diese Belastungen leicht zu verzichten, wenn man bloß den „guten Willen“ dazu hat. Man muss nachweisen, dass man einen gleichwertigen produktiven Ersatz hat. Die „ökologische“ Landwirtschaft hat ihn nicht.

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