In der Auseinandersetzung um die Ökosteuer auf Benzin und Diesel in Frankreich ist ein erstaunliches Maß an Ignoranz gegenüber den Lebens- und Arbeitsformen, die außerhalb der großen Metropolen zu finden sind, zu Tage getreten. Bernhard Pudal schrieb in „Le Monde diplomatique“ Nr. 3-2019:
„Es ist das fehlende politische und soziale Gespür für den wichtigen Platz, den das Automobil im Alltagsleben großer Teile der unteren Schichten einnimmt, gegen die sich die Gelbwesten-Bewegung formiert hat. Vervielfachung der Radarkontrollen, Geschwindigkeits-Begrenzung auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer, Preiserhöhungen für Benzin, eine `ökologisch´ genannte Steuer auf Brennstoffe, schärfere und teurere Überprüfungen der technischen Fahrzeug-Sicherheit, Abkehr von der Diesel-Technologie – indem die Mächtigen so die Freiheit der Mobilität einschränkten, haben sie – ohne sich dessen bewusst zu sein – eine ganze Art des Wirtschaftslebens, der Freizeitgestaltung, der Geselligkeit, wie sind insbesondere in ländlichen Gebieten entwickelt worden war, die materielle Grundlage entzogen.“
Es geht also nicht nur um eine Gleichgültigkeit gegenüber den Notlagen, die es in der Peripherie gibt, sondern auch um eine Missachtung der Kraft und eigenständigen Organisation, die hier zu finden ist. Eine Geringschätzung auch der Lebensformen, die hier entwickelt wurden und immer wieder erneuert werden. Das regierende Frankreich, das einfach mal eben das Automobil als bezahlbares Massenverkehrsmittel in Frage stellt, ist das metropolitane Frankreich – hier befindet sich die Hauptabteilung der Macron-Partei und der Macron-Wählerschaft. Und dies Frankreich betrachtet sich als den eigentlichen Leistungsträger und die alleinige dynamische Kraft, die den Rest des Landes mitzieht.
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Ein globales Milieu mit einem großen „Rest der Welt“ – Und es ist nicht nur ein französisches „juste milieu“, das so tickt, sondern auch ein internationales Milieu. Die Frankreich-Korrespondentin der FAZ, Michaela Wiegel stellte in einem Leitartikel (5.12.2018) unter der Überschrift „Frankreich im gelben Fieber“ eine Verbindung her zwischen den „Gelben Westen“ und jener Mehrheit, die 2005 in Frankreich im Referendum zum EU-Verfassungsentwurf mit „Nein“ stimmte. Sie beschreibt die beiden Lager, die sich schon damals gegenüberstanden, so:
„Auf der einen Seite sammelten sich die, die meinten, dass sie die europäischen Herausforderungen annehmen sollten. Die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen stimmten einmütig mit Ja, sahen sie doch in einer offenen Marktwirtschaft, die im internationalen Wettbewerb steht, viele Aufstiegs- und Erfolgschancen. Doch auf der anderen Seite kamen diejenigen zusammen, die Europa und die damit verbundene Globalisierung als Zumutung und Angriff auf ihr Lebensmodell empfinden. Sie lehnten es ab, schutzlos der Konkurrenz ausgesetzt zu sein, und trotzten der Vorstellung, dass es ihnen in der offenen, bunten und grünen Welt der Europa-Befürworter bessergehen würde. Sie wollten sich ihre `Normalität´ bewahren.“
Da steht es: „…die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen“. So sehen sich die globalisierenden Metropolenbewohner der gehobenen Mittelklasse überall auf der Welt gerne. Der Rest der Welt steht unter dem Generalverdacht, eher auf der Seite der Faulheit und Dummheit zu stehen – man drückt das nur etwas eleganter aus.
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In der Sozialstatistik ist das „periphere Frankreich“ gar nicht so leicht zu finden – Es ist ein großes Verdienst der „Gelben Westen“, dass solche Vorurteile nicht mehr so laut geäußert werden. Diese Bewegung hat einige Stühle im Land zurechtgerückt. Allerdings ist es eine größere Arbeit, all die Täuschungen und Verzerrungen abzuräumen, die das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherien bestimmen. Das beginnt schon bei der Sozialstatistik. Die offizielle Zählweise der französischen Statistikbehörde INSEE unterscheidet zwischen den Kategorien: „Große städtische Räume“ (große Agglomerationen, die 83% der Bevölkerung Frankreichs umfassen); „übrige städtische Räume“ (7,5 % der Bevölkerung); „Gemeinden mit mehreren Zentren“ (4,7 % der Bevölkerung); „Ländliche Gemeinden“ (5 % der Bevölkerung). Diese Einteilung hat einen so weiten Begriff von Bevölkerungshäufungen, dass über 90 % der Franzosen „Städter“ sind und 83 % sogar „Großstädter“. Damit wird die Statistik siedlungsgeographisch vereinseitigt und blind für den großen Bereich von weniger oder anders integrierten Siedlungsformen: den regionalen Hauptstädten, den Mittel- und Kleinstädten und den dispersen Siedlungsformen (Ortschaften, Dörfer, Einzelgebäude und Neubaugebiete „im Grünen“). Nur ein paar Dörfer und verstreute Häuser – auf dieser Grundlage kann gegenüber dem „Urbanen“ gar kein zweiter Generalbegriff gebildet werden, der neben der zentralisierenden Vergesellschaftung durch Städte eine andere „territoriale“ Form des gesellschaftlichen Zusammenhalts fassen könnte.
Der Sozialgeograph Christophe Guilluy, der im Zusammenhang mit der Gelbwesten-Bewegung viel zitiert wird, hat eine andere Einteilung vorgenommen. Er zählt nur die 25 größten Agglomerationen zu einer Kategorie „das metropolitane Frankreich“. Alle anderen Siedlungsformen zieht er zu der Kategorie „das periphere Frankreich“ zusammen. So kommt er zu folgenden Zahlen (siehe Christophe Guilluy, La France périphérique. Paris 2015):
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Zweimal Frankreich – was macht den Unterschied aus? – Die beiden Das „periphere Frankreich“ ist ein sehr heterogener Sammelkomplex, aber er hat den Vorzug, dass man so gegenüber der völligen Dominanz eines „urbanen“ 90 Prozent-Komplexes ein echtes Gegengewicht denkbar und wahrnehmbar zu machen. Und tatsächlich kann man zwei wichtige Unterschiede so besser abbilden: Zum einen kann man davon ausgehen, dass die regionalen Hauptstädte und die Mittel- und Kleinstädte stärker mit den nationalen Wertschöpfungsketten und dem französischen Binnenmarkt verbunden sind, während die wirklich großen Metropolen ihre Sonderstellung den internationalen Beziehungen auf europäischer oder globaler Ebene verdanken. Zum anderen könnte sich auch der Unterschied zwischen der physischen Tätigkeiten (vor allem der Industrie) und den entsprechenden Infrastrukturen auf der einen Seite und den wissenslastigen Tätigkeiten (Forschung, Entwicklung, Buchführung, Beratung, Bildung, Medien) auf der anderen Seite in Guilluys Einteilung deutlicher abbilden. Es wäre gewissermaßen, um es mit dem Philosophen Descartes zu sagen, der Unterschied zwischen der „res extensa“ und der „res cogitans“, der sich zwischen Peripherie und Metropole sortiert.
Guilluy wählt, zumindest in dem hier zitierten Buch, eine andere Unterscheidung: Anhand von Sozialindikatoren (dem Anteil der Arbeiter und einfachen Angestellten, dem Durchschnittseinkommen, dem Anteil der Arbeitslosen etc.) bildet er zwei große soziale Sektoren – einen „gehobenen“ Sektor aus Oberschicht und oberer Mittelschicht (den er mit „Integrierte“ überschreibt) und einen „unteren“ Sektor aus Unterschicht und unterer Mittelschicht (den er mit „einfache Leute/fragile Existenzen“ überschreibt). Das Größenverhältnis der beiden Sektoren ist im peripheren Frankreich deutlich anders als im metropolitanen Frankreich:
Auf der einen Seite finden sich also 65,5 % des gehobenen Sektors der französischen Gesellschaft im Metropolen-Raum, während im Peripherie-Raum 72,7 % des unteren Sektors der französischen Gesellschaft leben.
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Es geht nicht um Umverteilung, sondern um die Ordnung des ganzen Landes – Diese soziale Unterscheidung ist mit Vorsicht zu genießen. Sie legt ja zunächst eine (linke) Sichtweise nahe, die von einem Verteilungskampf zwischen „oben und unten“, „arm und reich“ oder „Volk und Elite“ ausgeht und das Verhältnis zwischen Peripherie und Metropole nach diesem Klassenkampf-Szenario deutet. Aber es sind nicht einfach Güter und Versorgungsansprüche, die zwischen Peripherie und Metropole durch Willkür ungleich verteilt sind und durch „Kampf“ ebenso willkürlich umverteilt werden können. Die Unterschiede zwischen dem peripheren Frankreich und dem metropolitanen Frankreich gehen auf Strukturbildungen von Wirtschaft und Staat zurück. Sie gehen also auf die Gesamtheit einer Ordnung zurück. Und nicht jede Gesamtheit ist schon eine gute Gesamtheit. Die oben beschriebene Verbindung von Führungsansprüchen und Ignoranz, die die Metropolen gegenüber der Peripherie zeigen, und die jetzt zur Bewegung der „Gelben Westen“ geführt hat, ist ein deutliches Zeichen, dass etwas stimmt nicht mit dem metropolitanen „Hype“.
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Die fragwürdige Wirtschaftsstärke der Metropolen (1) – In dem zitierten Buch übernimmt der Sozialgeograph Guilluy das Bild der prosperierenden, wirtschaftsstarken Metropolen, ohne Zweifel anzumelden: Die Wirtschaftszahlen, die die Metropolen als Hauptträger des Bruttoinlandsprodukts ausweisen, werden als bare Münze genommen. Nach diesen Zahlen trägt allein der Metropolraum Paris/Ile de France 30 Prozent zum gesamten Bruttoinlandsprodukt Frankreichs bei, während er nur 18 Prozent seiner Bevölkerung umfasst. Nimmt man die 4 größten Metropolräume zusammen, tragen sie zusammen 52,6 Prozent zum BIP bei. Nimmt man die größten 10 Metropolräume, erhält man 80 Prozent des BIP. Das sind erstaunliche, sogar bizarre Zahlen, wenn man die Verteilung der Berufstätigen und der Unternehmen betrachtet, die trotz alle Zentralisierung viel breiter ist, und die daher auf eine beträchtliche realwirtschaftliche Rolle des peripheren Frankreich hinweisen. Diese wird aber offensichtlich durch die BIP-Zahlen nicht vollständig abgebildet.
Zur Begründung wird nun vielfach angeführt, dass sich in den Metropolen die hochqualifizierten Tätigkeiten und Berufstätigen konzentrieren. Mit anderen Worten. Den Leitungsfunktionen, den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (und damit den in Frankreich als „cadres“ (Kader) bezeichneten Führungsschichten und der akademisch qualifizierten Mittelklasse) wird ein Großteil der Wertschöpfung zugerechnet. Im Metropolraum Paris waren 2011 27,9% der Erwerbstätigen „cadres“ oder Angehörige von Berufen mit akademischer Qualifikation („professions intellectuelles supérieures“). Auch in den anderen französischen Metropolräumen nimmt der Anteil dieser Berufsgruppen stark zu.
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Die fragwürdige Wirtschaftsstärke der Metropolen (II) – Aber diese Zurechnung ist sehr fragwürdig, denn es gibt keine sicheren Anhaltspunkte für die Messung der Wertschöpfung. Würde man sie von den Stundensätzen und Einkommenshöhen der akademischen gebildeten, gehobenen Mittelklasse ableiten, so ist die Gefahr eines Zirkelschlusses zwischen Stundensätzen und Einkommenshöhen (und umgekehrt) groß. Die teilweise astronomische Höhe von Beratungsvergütungen ist ein Indiz für eine überhöhte Wertschöpfungs-Rechnung. Ebenso gibt es in der Wertschöpfungsketten schwer nachvollziehbare Terms of trade zwischen Entwicklungsleistungen, Zulieferungsleistungen und Leistungen der Endfertigung.
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Die fragwürdige Wirtschaftsstärke der Metropolen (III) – Ein zweiter Grund für kritische Nachfragen ist das starke Wachstum dieser gehobenen Tätigkeiten und Arbeitsplätze. Es stimmt: Es gibt eine Ausdehnung der Leitungsfunktionen oder sogenannter „kreativer“ Funktionen – und damit verbunden neue gehobene Dienstleistungen mit zahlreichen Unternehmen und Arbeitsplätzen. Und sie bringt auch eine eigene, sehr reale Baulandschaft hervor, die in den hochgetürmten „business districts“ weithin sichtbar ist. Aber bedeutet das tatsächlich eine im gleichen Maß erhöhte Wertschöpfung? Das kann man mit guten Gründen bezweifeln. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass in vielen Ländern, in denen in den vergangenen Jahrzehnten diese „gehobenen“ Tätigkeiten stark gewachsen sind, keine entsprechenden Zuwächse bei der Durchschnittsproduktivität zu verzeichnen waren. Man spricht von einer „Produktivitätskrise“ – und die Tatsache, dass sie parallel zum Metropolen-Hype stattfindet, ist noch kaum erörtert worden.
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Und die Wirtschaftsschwäche der Peripherie? – Zur gleichen Zeit ist die Peripherie von einem wirklichen Verlust betroffen – und das gilt in besonderem Maße für Frankreich: vom Verlust vieler Industrie-Standorte. Bis Mitte der 1970er Jahre war die produktive Rolle der Peripherie durch Industrie-Ansiedlungen noch verstärkt worden. Dann begann der Prozess der Deindustrialisierung, der diesen Raum besonders stark betraf. Bei Guilluy findet sich eine lange Liste von Fabrikstillegungen, die in kleineren Kommunen in der Peripherie stattfanden und – wegen der fehlenden Arbeitsplatz-Alternativen – schwerwiegende Folgen hatten. Aber auch hier kann man eine kritische Frage stellen: Ist das schon der Beweis für eine fehlende Produktivität der Peripherie? Denn diese Deindustrialisierung hat eine internationale, globale Dimension: viele Produktionsstandorte wurden ins Ausland verlagert. Das Verhältnis zwischen dem „metropolitanen Frankreich“ und dem „peripheren Frankreich“ ist nicht nur ein innnerfranzösisches Verhältnis, sondern hat eine äußere, globale Seite. Es wird gewissermaßen „über Bande“ gespielt.
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Ein Dreiecks-Tausch auf Kosten der Peripherie – Das Verhältnis zwischen Metropolräumen und peripheren Räumen in Frankreich kann als ein Austausch dargestellt werden, an dem drei Seiten beteiligt sind. Im ersten Schritt werden Industrien aus der französischen Peripherie ins Ausland verlagert, vorzugsweise in Schwellenländer mit niedrigeren Kosten. Dazu kann man auch Länder der europäischen Peripherie rechnen (heute besonders im Osten und Süden). Im Gegenzug fließt ein Teil der Erträge zurück nach Frankreich und es findet dort eine Ausdehnung hochqualifizierter Produktionsschritte und Dienstleistungen statt (Endfertigung, Forschung und Entwicklung, Produktdesign, Werbung, Finanzierung, juristische Vertretung…). Und nun kommt der entscheidende Punkt: Diese Rückflüsse kommen ganz überwiegend den Metropolräumen zugute, während die Peripherie, die am Anfang ja etwas gegeben hat, nun mit leeren Händen dasteht. Die französische Peripherie ist der Verlierer in diesem Dreiecks-Handel. Das gilt auch in sozialer Hinsicht: Was die Unterschicht und untere Mittelschicht an einfachen Arbeitsplätzen abgab, landet am Ende bei der gehobenen, akademischen „urbanen“ Mittelschicht. Diese ist deshalb in der Regel ein Anhänger des „offene“ Frankreich (und bildet sich darauf etwas ein), während die untere Mittelschicht begrenzend „territorial“ denkt und den Binnenmarkt schützen und weiterentwickeln will.
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Von wegen „Offenheit“: Globalisierung bedeutet Metropolenherrschaft – Das „offene“ Frankreich ist also in Wahrheit ein räumlich und zahlenmäßig sehr exklusives Frankreich: Zu ihm gehören abgesehen von Ausnahmen nur die Metropolräume. Das „globale“ Frankreich ist das „metropolitane Frankreich“. An dieser Stelle wird deutlich, wie irreführend der Begriff der „Globalisierung“ eigentlich ist. Er täuscht eine große Allgemeinheit vor, denen Erträge und Rechte zugutekommen. In Wirklichkeit müsste man von einer Metropolisierung sprechen, das heißt von einem neuen Unterordnungsverhältnis zwischen Zentren und Peripherien – wobei die ersteren eine aktive Rolle spiele und letzteren nur passiv Veränderungen, auf die sie keinen Einfluss haben, hinnehmen müssen. In der neuen „zentrierten“ Ordnung sind sie in eine neue Abhängigkeit geworfen, die so weit gehen kann, dass ihre produktiven Kräfte völlig stillgelegt werden. Auch politisch kann von einer allgemeinen Demokratie nicht die Rede sein, denn wesentliche Entscheidungen fallen im privilegierten Innenraum der europäischen und globalen Metropolen.
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Die „Gelben Westen“: eine Zwischenbilanz – Die Auseinandersetzung, die die „Gelben Westen“ begonnen haben, ist eine Auseinandersetzung des „peripheren Frankreich“ mit dem „metropolitanen Frankreich“. Und es ist mehr als nur ein Umverteilungskampf von links: ein Existenzkampf um Anerkennung und Schutz. Es ist ein Kampf um die Ordnung von Wirtschaft und Staat, um strukturelle und institutionelle Anerkennung und Sicherheit.
Zugleich zeigt sich, dass in dieser Auseinandersetzung der Nationalstaat und seine Souveränität der natürliche Bündnispartner der Peripherie ist. Denn die Macht der Metropolen wird gespeist aus der Auflösung der Nationalstaaten und einer grenzübergreifenden Zentralisierung durch die Metropolen. Auch historisch kann man von diesem Bündnis der Peripherie mit dem Nationalstaat sprechen. Denn auch in der Bildungsphase der modernen Nationalstaaten wurden die Peripherien zu wichtigen Bestandteilen ihrer „Territorialität“ – der materielle Grundlage für allgemeinverbindliche Normen und Rechte, für eine flächendeckende Präsenz von Sicherheitskräften, von Infrastrukturen, von sozialen und kulturellen Einrichtungen, von Körperschaften der repräsentativen Demokratie auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Und nicht zu vergessen: Eine starke und anerkannte Peripherie war auch wichtig für einen lückenlosen Grenzschutz nach außen. Ökonomisch war die territoriale Integration der Peripherien wichtig für die Entfaltung der Binnenmärkte – für das Binnenwachstum der Marktwirtschaft durch allgemein zugängliche und bezahlbare Industrie-Produkte.
Und damit sind wir wieder im Heute angelangt, bei der Ökosteuer auf Benzin und Diesel, die vor allem eine Peripherie-Steuer ist, und bei der Bewegung der „Gelben Westen“, die der Vorbote einer größeren Wende sein könnte, die sich unsere Klimaretter in ihren Zitadellen überhaupt nicht vorstellen können.