Das Urteil scheint gesprochen. Die deutschen Autobauer seien ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden, „Abteilung organisierte Kriminalität“, sagte Klaus Kleber, Moderator des „Heute-Journal“, in einem Interview mit dem Baden-Württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann. Das ging dem Grünen Politiker, nicht gerade ein Freund der Autobranche, dann doch zu weit. Man müsse erst die Untersuchungsergebnisse abwarten, bremste Hermann den aufgebrachten ZDF-Journalisten. Die könnten tatsächlich Überraschendes zutage fördern, wie ein Blick ins Archiv zeigt.
Das „Kartell“ der fünf deutschen Autobauer Porsche, Volkswagen, Audi, Daimler und BMW agierte offenbar doch nicht so sehr im Verborgenen, wie die Berichterstattung im „Spiegel“ nahelegt. Zum Thema Abgasreinigung betreiben die fünf Hersteller seit 1996 sogar ein Gemeinschaftsunternehmen mit Namen „Abgaszentrum der Automobilindustrie“ (ADA). Die Gesellschaft mit Sitz im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach hat eine Steuernummer und eine eigene Website. „Wir haben Weissach gewählt, weil Porsche damals noch eigenständig war und für die anderen beteiligten Hersteller keine Konkurrenz darstellte“, erinnert sich ein Manager von damals.
Die Gesellschaft wurde bei der Gründung sogar vom Kartellamt überprüft. Das US-Unternehmen Ford und die GM-Tochter Opel wurden von dem Gemeinschaftsunternehmen ausgeschlossen. Opel schaltete daraufhin das Kartellamt ein, das den Fall ein Jahr lang prüfte. Die Behörde fand jedoch keinen Grund, die Sache kartellrechtlich zu verfolgen.
„Im Auftrag unserer Gesellschafter betreiben wir Vorentwicklung auf dem Gebiet der Abgasnachbehandlung an Otto- und Dieselmotoren in Personenkraftwagen“, heißt es in der Satzung der ADA. Das klingt nach einem der Hauptvorwürfe, den der „Spiegel“ erhebt: Die Autohersteller hätte sich in kartellartigen Absprachen verabredet, bei der Abgasreinigung Hand in Hand zu gehen. So sei verabredet worden, nur relativ kleine AdBlue-Tanks für die Abgasbehandlung von Dieselmotoren einzubauen, um Kosten zu sparen und die Konkurrenz auf diesem Gebiet auszuschalten. Zudem seien die zu kleinen Tanks ursächlich für den Dieselskandal, mutmaßt der „Spiegel“. Denn dadurch sei die Menge des verwendeten AdBlue zu gering, um genügend der schädlichen Stickoxyde aus dem Abgas zu filtern.
Ein Vorwurf, den einer der Zulieferer solcher Tanks glatt bestreitet: „Nicht die Größe des Tanks ist entscheidend für die Kosten des Systems. Da spielen ganz andere Parameter eine Rolle“, sagt der Chef des Unternehmens. Zudem sei es das gemeinsame Ziel der Hersteller gewesen, die Tankintervalle für AdBlue möglichst lang zu halten, damit die Kunden nicht zwischen den Inspektionen die Flüssigkeit nachfüllen müssen, was gegen kleine Tanks spricht. Und: „Die meisten Autos haben einen mindestens 10 Liter großen Tank, weil das dem Gebinde entspricht, das man an Tankstellen kaufen kann“, erinnert sich ein Beteiligter an den Hintergrund der Absprache zwischen den Autobauern.
In der vergangenen Woche haben mehrere Medien an dem Kartell-Thema, ausgelöst durch eine Art Selbstanzeige von Volkswagen und Daimler, recherchiert. Die wegen der Skandale der jüngsten Vergangenheit sensibilisierten Rechtsabteilungen der Konzerne sind sich offenbar unsicher, ob solche Zusammenarbeit legal ist und wollten auf Nummer sicher gehen. Der „Spiegel“ war mit der Veröffentlichung am schnellsten. Hat die legendäre Dokumentation des Magazins, die eigentlich jede Story penibel auf Wahrheitsgehalt und Nachprüfbarkeit abklopft, vielleicht deshalb übersehen, dass sogar das eigene Blatt über die „Abgaszentrum der Automobilindustrie“ schon berichtet hatte – am 22. Januar 1996, unter der Überschrift „Giftige Minute – Fünf deutsche Autohersteller machen gemeinsame Sache: bei der Reinigung von Abgas.“ Das einzige, was der „Spiegel“ 1996 daran auszusetzen hatte: Der Aufbruch in die gemeinsame Abgasforschung komme „mit reichlicher Verspätung“.