„Zitrus-Koalition“ – versuchen Habeck und Lindner beim Koalitionsmachen neue Wege?
Fritz Goergen
„Zitrus-Koalition“ bedeutet inhaltlich gar nichts, aber in der Welt der PR der Massenkommunikation viel. Weil es dort sowieso nicht darauf ankommt, WAS gemacht wird, sondern WIE es aussieht.
Auf den Instagram-Accounts der Macher der „Zitrus-Koalition“ – Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing – ist identisch zu sehen und zu lesen: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten“. Die Genannten trafen sich gestern abends, ohne dass Journalisten davon wussten. Wenn die Macher der „Zitrus-Koalition“ es schaffen, dieses Verfahren fortzusetzen, kann das alle Erwartungen zum weiteren Ablauf der Regierungsbildung auf den Kopf stellen.
Mit Bildern jonglieren können die Zitrusker jedenfalls schon …
Wie auch immer das weiter geht, eines ist wirklich neu und durchaus pfiffig: Dass die zwei Kleineren sich einigen wollen, bevor sie einem Größeren den Zuschlag geben – und sich dafür auch noch einen Namen geben: Zitrus. Inhaltlich bedeutet das gar nichts, aber in der Welt der PR der Massenkommunikation viel. Weil es dort sowieso nicht darauf ankommt, WAS gemacht wird, sondern WIE es aussieht.
Da lohnt ein kurzer Blick zurück auf frühere Zeiten. Während seit langem die Unsitte von „Koalitionsverträgen“ Platz gegriffen hat, wurden einst Koalitionen ganz anders geschlossen. Für die „sozialliberale“ Koalition 1969 reichte ein Abendtelefonat zwischen Willy Brandt und Walter Scheel, für die Koalition Union/FDP 1983 das mündliche Einverständnis von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Auch Gerhard Schröder und Joseph Fischer hatten in ihren Parteien genug Autorität zu sagen, wir machen es, und den Rest dem Alltag zu überlassen.
Ob die Zitrus-Leute das Korsett von „Vorsondierungen“, „Sondierungen“, Koalitionsverhandlungen, Koalitionsverträgen, Parteitagen, die den Verträgen zustimmen müssen oder gar Mitgliederabstimmungen sprengen wollen und auch können, entscheidet darüber, ob eine neue Bundesregierung 2021 oder 2022 zustandekommt.
Winfried Kretschmann erwartet von einer Koalition von Zitrus – grüngelb – mit der Union, also Jamaika oder Schwampel, in der Klimafrage mehr als von einer Ampel-Koalition mit der SPD. Das meinen aus anderen Gründen auch etliche TE-Autoren wie Alexander Wendt, Peter Hahne und Tomas Spahn.
Natürlich sind ein persönlich angeschlagener CDU-Vorsitzender Armin Laschet und die dezimierte Union sowohl bei Sachen wie bei Posten zu allem bereit, wenn nur der Kanzlerstuhl und die damit verbundenen Personenkarrieren gerettet werden können. Kretschmann hat vor allem auch in anderer Hinsicht Recht. Einem Laschet wird die Union trotz Söder keinen ernsthaften Widerstand leisten, den Zitrus-Leuten alles zu geben, was sie wollen. Eine CDU rebelliert nicht.
Die Frage ist allerdings: Hat sich Laschet mit seinem Verhalten in der Führungsfrage der Unionsfraktion im Bundestag gestern nicht aus dem Kanzlerrennen genommen, während sein Taktieren genau das verhindern sollte? Roland Tichy erinnert daran, dass das eiserne Unionsprozedere immer war: Der Parteivorsitzende übernimmt nach einer Bundestagswahl den Fraktionsvorsitz, bringt die Koalition unter Dach und Fach und wird dann zum Kanzler gewählt. Laschet hat nun keine Kompetenz in der Union, in der Koalitionsfrage ohne die Bundestagsfraktion zu handeln. Kommen die Zitrus-Leute zum Schluss, mit der Union die Koalitionsfrage zu besprechen, müssen sie das nicht mit Laschet tun. Zumal, wenn sie das auch ohne vorheriges Wissen der Medien anpacken sollten.
Olaf Scholz selbst wäre ebenso bereit wie Laschet oder Söder, den Zitrus-Leuten bei Sachen wie bei Posten alles zu geben – aber er wird genau überlegen müssen, wo er nicht ja sagt, will er nicht die ohnedies lauernden Kühnerts, Eskens und so weiter auf den Plan rufen, die ihn mit den SPD-Gewohnheiten bis hin zum Mitgliederentscheid über einen Koalitionsvertag jederzeit ausbremsen können.
Ob die selbsternannten Macher der „Zitrus-Koalition“ den Auftakt ohne Medien- und Gremienmeute und dem daraus sich nährenden furchtbar fruchtbaren Gerüchte- und Intrigenstadel fortsetzen können oder von diesen stets nur um sich selbst drehenden „eingeweihten Kreisen“ eingeholt und überrollt werden, zeigt sich bald.
Die Macher der „Zitrus-Koalition“ könnten übrigens die türkis-grüne Koalition in Österreich als Muster nehmen. Dort hat zwar auch eine große Kommission aus Parteileuten und parteinahen Experten die Details des Regierungsprogramms ausgehandelt. Aber im Kern lautet die türkis-grüne Formel: Ihr (die Grünen) sagt, wo es beim Klimathema entlang geht, wir (die Neue Volkspartei) bei Migration und Wirtschaft. Dafür fand Kurz die hübsche PR-Formel: „… das Beste aus zwei Welten“.
Wie ich schon schrieb: Erwarten kann ich von Grünen/FDP – also seit neuem Zitrus – weder mit SPD noch CDU etwas Gutes. Das begonnene Theater auf der politmedialen Bühne wird aber unterhaltsam.
Eines will ich nicht vergessen: Wenn die ausgetreten Pfade der real existierenden politmedialen Illusionskunst derart verändert werden, wie es im Moment aussehen könnte, können auch Dinge ins Rollen kommen, an die niemand denkt. Schau’n wir mal, dann seh’n wir schon.
Womit ich nicht meine, dass die Bilderbotschaft dieses Tweets ein Omen ist …
… dann lieber die Gesangsbotschaft dieses Tweets:
Fußnote: Bei meiner Meinung, dass sich die Oligarchie der Räteherrschaft der Funktionäre im deutschen Parteienstaat nicht reformieren lässt, bleibt es natürlich.
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