Tichys Einblick
Vom Politikversagen zum Staats- und Systemversagen ist irgendwann nur ein Schritt

Wie weit bis zum Systemversagen?

Ein paar Jahre haben die herrschenden Kräfte noch Zeit, sich aus eigenem zu erneuern. Nutzen sie diese nicht, setzen sie Kräfte frei, die niemand einschätzen kann.

Kaum hat Deutschland die „Energiewende“ beschlossen, interessiert sich niemand mehr für den radioaktiven Müll. Hauptsache, wir trennen den Hausmüll. Dass davon trotzdem mehr verbrannt und exportiert wird, als in der Kreislaufwirtschaft landet, erzählt uns ja keiner. Unser Bildschirmschoner ist ein blauer Himmel. Rausschauen musst du nicht.

Dieselgate hat seine Karriere als Wochenskandal der Nation schon wieder hinter sich. Dass politische Auflagen plus Preispolitik des staatlich und gewerkschaftlich massiv beeinflussten Konzerns die Ursache sind, interessiert nicht. Die Fassade muss stimmen. Was dahinter stattfindet, interessiert die Wohlfühl-Gesellschaft nicht. Für nachwachsende Energie-Ressourcen und Windräder werden Flächen in großem Umfang freigeräumt. Dass dies in der Öko-Bilanz national und international negativ zu Buche schlägt, kümmert nicht. Kriegen die Füchse deshalb in der Landschaft nicht genug zu fressen, wo sie sich früher gute Nacht sagten, müssen sie halt in die Städte gehen: Eine gefährdete Ernährung erst, wenn die Leute nicht mehr so viel wegwerfen. Sinkende Löhne könnten da „helfen“.

Seit dem Kanzlerin-Wort von der nun nötigen neuen deutschen Tugend der Flexibilität besonders beim Wohnungsbau hat sich nur geändert, dass noch mehr Wohnungen fehlen, für jene, die schon länger da waren, und jene, die kamen und weiter kommen. Am Tage der Merkel’schen Ankündigung füllte die Botschaft die TV-Nachrichten und danach die Presse. Halbwertzeit 48 Stunden. Dann die nächste Leer-Formel. Und so weiter.  Folgenlose Ankündigungspolitik. Die Nachrichten-Industrie ficht nichts an, solange nachgeliefert wird. Wirkungskontrolle? Längst kein journalistischer Schwerpunkt mehr.

Die letzten Talkrunden haben es wieder gezeigt. Wer mit und wer gegen wen ist viel unterhaltsamer als wer wofür in der Sache. „Draußen an den Bildschirmen“ wie die abenteuerliche Wendung derer Drinnen heißt, sitzen die Leute, die mit dem Versagen ihres Staates täglich zu tun haben. Die in den Talkshows versammelt werden, haben  genug Geld und Beziehungen, um sich dem Staat zu entziehen, wo ihnen für sich, ihre Kinder und Angehörigen dessen Leistungen nicht reichen.

Die draußen müssen mit den Fehlfunktionen und dem Versagen der öffentlichen Hand leben. In extremen Problem-Gebieten, sozialen wie ethnischen Parallegesellschaften und ihren Mischformen, haben sich schon lange vor der großen Migration Zonen eigenen Rechts herausgebildet. Am Anfang der Mafia war das auch so: Sie garantierte zu ihren Bedingungen zuverlässigen Schutz, den ihnen der Staat im geistlichen und weltlichen Feudalbesitz in seiner Willkür vorenthielt. Robin Hood lässt grüßen. Alibaba und die vierzig Räuber auch.

Bildung, Wirtschaft und Soziales grundlegend reformieren
Agenda 2050: Blockade-Haltung aufgeben, aber wirklich
Diese gespaltenen Gesellschaften können wir in allen Metropolen der Welt besichtigen, nicht zuletzt in Paris und Brüssel, aber auch in London und Berlin. Richten wir uns darauf ein, dass aus diesen Ausnahmen die Regel wird, wenn es zu keiner großen Staatsreform kommt. Was ist das gemeinsame an allen Problemthemen? Krasse Mängel gehen einher mit noch krasseren politischen Leerformeln. Die meisten Fehlentwicklungen weg von der zivilen Verantwortung hin zum bevormundenden, aber eben nicht allmächtigen Versorgungsstaat waren schon in der späten Bonner Republik offenkundig. Durch die Wiedervereinigung wurde das alles zugedeckt, ins „Beitrittsgebiet“ übertragen und von oft nur scheinbar neuen Fragen der Berliner Republik verdeckt. Die globale Finanzkrise und die Begleiterscheinungen der großen Migration bereiten dem Weiterwursteln, der Politik von der Hand in den Mund, dem Tarnen und Täuschen durch Worte statt Taten das verdiente Ende. Ein paar Jahre haben die herrschenden Kräfte noch Zeit, sich aus eigenem zu erneuern. Nutzen sie diese nicht, setzen sie Kräfte frei, die niemand kalkulieren kann. Nach anhaltenden Politikversagen droht Staats- und Systemversagen.

Gewöhnung ist eine mächtige Macht der Mächtigen

Nun zieht Deutschland in den Krieg. Zur Bekämpfung des IS? Nein, zur Pflege der politischen Kulisse: Wir tun etwas. Früher einmal spottete ich, wenn es einen National-Charakter gibt, dann ist der deutsche: WAS wir tun, ist nicht wichtig, so lange wir es PERFEKT machen. Das war einmal. Heute gilt Symbolpolitik: Wir tun so, als täten wir. Dabei profitiert Politik von der Macht der Gewöhnung. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um ein bewusstes Verhalten handelt. Das würde ja einen Plan voraussetzen oder gar  Strategie.

Die faktische Kraft der Gewöhnung hat beim Migrationsthema bereits begonnen. Der Umfang der Berichterstattung schrumpft, der Sendeplatz rutscht nach hinten, der Erregungspegel sinkt. Selbst in den TV-Talkrunden ist das zu merken. Abnehmende Quoten garantieren den Themenwechsel. Ich habe da ein paar Vorschläge:

Und an Politiker, die welche werden wollen, die sich um die res publica kümmern statt um die Interessen von großen und kleinen Klienten, habe ich eine spezielle Frage. Wo ist der Vorschlag zu einer umfassenden Staats-Reform, die Geld für Wichtigeres freisetzt, als jetzt an jeder Ecke der deutschen Regulierungs- und Bürokratie-Wirklichkeit verschleudert wird? Wo ist der nationale Stresstest, der zutage bringt, was sich ändern muss?

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