Tichys Einblick
Umfragen nur als Propaganda wahrgenommen

Wählerpotentiale, Wahlabsichten, Demoskopie, Medien – und die ewige große Koalition

Umfrageergebnisse haben nur noch Propagandawert. Was sie verkünden, versteht alle Welt nicht als Auskunft über die Meinungen von Befragten, sondern als politische Botschaft.

Mit Umfragen, wie sie gemacht werden, was sie leisten und was nicht, war ich beruflich zwischen 1968 und 1986 regelmäßig und intensiv befasst. Lese ich nun die Ergebnisse der aktuellen INSA-Umfrage für TE, fällt mir sofort ins Auge. Es hat sich nur eines strukturell geändert. Die Zahl der Nichtwähler hat stetig zugenommen.

Unverändert hingegen ist es um ein Drittel der Befragten, das sagt, es wäre bereit, etwas anderes zu wählen als bisher. 30 bis 35 Prozent waren es, die in Umfragen der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Drei-Parteien-Zeit sagten, eine Wahl der FDP käme für sie in Frage. Damals war ja die FDP die einzig mögliche Oppositionspartei – übrigens realiter, nicht demoskopisch stets dann am wirksamsten, wenn sie Koalitionspartei war. Genscher mochte es nicht, wenn ich sagte, die FDP ist als Opposition nur in der Regierung vorstellbar. Scheel lachte darüber genüsslich. Er war ja auch mit mir der Meinung, es gäbe keine liberale Außenpolitik (Genscher, Kinkel), sondern nur eine deutsche – oder eben keine.

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In Wahrheit gab es in der Bonner Republik wie in der Berliner noch nie eine wirklich wirksame Opposition, weil alle wesentlichen Entscheidungen immer von CDU und SPD getroffen wurden, egal wer formell die Regierung bildete. Deutschland wurde noch nie von etwas anderem regiert als von einer riesengroßen Konsensmaschine. Der Rest ist mediale Selbstbeschäftigung mit mäßig unterhaltsamen Darstellern und einem unglaublich leicht zufriedenzustellenden, geschmacklich bescheidenen Publikum.

Aktuell hat INSA für TE ein Wählerpotential von 25 Prozent ermittelt für „eine neue bürgerliche Partei, die sich zwischen AfD und Union ansiedeln würde“. Das ist angesichts von 30 Prozent tatsächlichen – nicht demoskopischen – Nichtwählern ein simples Nichts an Bewegung unter den Wahlberechtigten.

Anders gesagt: Eine neue Partei welcher politischen Ausrichtung auch immer, ist nur dann eine NEUE, wenn große Teile der Nichtwähler sie wählen wollen. Ist das nicht der Fall, handelt es sich wie beim Kinderspiel Reise nach Jerusalem nur um Umverteilungen innerhalb des Spektrums der real existierenden Parteien, die den Parteienstaat ausmachen und stützen, über den ich unter Parteienstaat und Staatsparteien 2016 schrieb:

„Das Gesamtgefüge Parteiengesetz, Parteienfinanzierungsgesetz, die Bestimmungen über die Bezahlung von Abgeordneten, ihre Ausstattung mit Personal und vielen anderen sichtbaren und unsichtbaren Privilegien haben ein dichtes Geflecht gewoben – von der Gemeindeebene nach Brüssel und zurück. Da kommt keine politische und personelle Erneuerung mehr durch. Es begann in der Bonner Republik, in der Berliner Republik ist der Parteienstaat unreformierbar geworden. Die Parteien sind Staatsparteien, getragen von den Mandarinen und Eunuchen der Demokratie, den Berufspolitikern: Politik ist für sie zweitrangig, Karriere zählt. Wer sich nicht dran hält, ist eine Zeit lang nützlicher Hofnarr und dann raus.“

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Zurück zur Demoskopie und zur Umfrage von INSA. Die Reaktion der meisten Leser hätte es mich gelehrt, wenn ich es nicht schon gewusst hätte. Umfrageergebnisse haben nur noch Propagandawert. Was sie verkünden, versteht alle Welt nicht als Auskunft über die Meinungen von Befragten, sondern als politische Botschaft.

Wenn INSA ein Wählerpotential von 25 Prozent ermittelt für „eine neue bürgerliche Partei, die sich zwischen AfD und Union ansiedeln würde“, und diese Umfrage von TE in Auftrag gegeben wird, dann so – nahezu unisono die Leserkommentare – möchte TE, dass eine solche Partei gegründet wird.

Ich erlaube mir, beide Seiten zu enttäuschen, jene, die das gut fände, und jene, die das wütend ablehnt. TE macht sich – ganz nach Hanns Joachim Friedrichs – mit keiner Sache gemein, also auch mit keiner Partei, auch mit keiner neuen. TE bemüht sich, möglichst redlich zu sagen, was ist.

Ich selbst beurteile die repräsentative Demokratie in Deutschland seit langem als gescheitert. Die nötige Reform innerhalb ihrer Spielregeln kann nicht gelingen, weil diese Spielregeln von den Oberberufspolitikern mit Duldung aller Berufspolitiker, ohne Kritik in den Einheitsmeinungsmedien und bei verstummender Kritik in den Wissenschaften außer Kraft gesetzt wurden.

Meine Einschätzung teilen manche TE-Autoren, ihre Mehrzahl nicht. Auf die naheliegende Frage, die mir Leser stellen werden, was dann, wenn es innerhalb der Regeln nicht geht, antworte ich: Können existierende NGOs, offen und verdeckt zusammen mit Berufspolitikern, demokratisch nicht legitimierte „Räte“-Strukturen errichten, kann eine wirkliche Opposition sich auch als NGO etablieren. Nach meinem Geschmack in einer, die radikale Dezentralität nicht nur vertritt, sondern dezentral einfach etabliert. Mit einer (oder mehreren) solchen NGO würde sich TE nach seinem Selbstverständnis natürlich ebenfalls nicht gemein machen. Sondern sagen, was ist.

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