Tichys Einblick
Die Entdemokratisierung begann früh

Von Rente über Asyleinwanderung zu Corona und Klima: von einem Tabu zum anderen

Die Tabuisierung der Rentenfrage war von Anfang an höchst logisch, denn bei ihr wurde das Volk der Beitragszahler Schritt für Schritt systematisch hinter die Fichte geführt - von Adenauer bis Merkel, von Ollenhauer bis Scholz.

imago/Christian Ohde

Es gehört zu meinen ersten Erinnerungen an Politik Ende der 1960er Jahre, dass CDU wie SPD das Thema Rente aus dem Wahlkampf heraushalten wollten und auch hielten, weil das tabu sein sollte in der gegenseitigen Profilierung. Ich habe schon damals als junger Schnösel von Podiumsdiskussion zu Podiumsdiskussion in Vertretung des Bundesgeschäftsführers der FDP, Hans Friderichs in seinem Bundestagswahlkreis vergeblich versucht, die Bundestagsabgeordneten Wilhelm Dröscher, SPD, und Elmar Pieroth, CDU zu provozieren. Ich fürchte beide, zweifellos überdurchschnittlich intelligente Politiker, haben meine Frage nicht verstanden. Ich wollte wissen, ob der Wettbewerb unter den Parteien im Sandkasten stattfinden muss, mit harmlosen Förmchen und Schäufelchen, weil die ernste Rentenfrage tabu bleiben müsse.

Da, wo es um die schwerwiegende Frage geht, wie Bürger, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, im Alter ihren Lebensstandard halten können, darf es keinen „Parteienstreit“ geben? Der ist für Fragen reserviert, wo es nicht um so viel geht?

Die Tabuisierung der Rentenfrage war von Anfang an höchst logisch, denn bei ihr wurde das Volk der Beitragszahler Schritt für Schritt systematisch hinter die Fichte geführt – von Adenauer bis Merkel, von Ollenhauer bis Scholz.

Ich wohnte in Köln etliche Jahre in einer Häuserzeile, in der überwiegend ältere Leute aus kleinen und mittleren Verhältnissen lebten. In Gesprächen wollten sie mir noch in den 1990er Jahren nicht glauben, dass ihre Rente nicht aus den von ihnen eingezahlten Beiträgen bestritten wird, dass sie also im Alter nicht „rausbekämen“, was sie eingezahlt hatten. Sie hatten im Kölner Express von Zuschüssen zur Rentenkasse gelesen und wollten von mir wissen, was denn mit ihren Beiträgen passiert sei, wenn es Zuschüsse braucht. Dass aus ihren Beiträgen die jeweiligen Rentner bezahlt werden, ihre Beiträge längst verbraucht sind, wenn sie in Rente gehen, wollten sie mir anfangs nicht glauben. Und, werte Leser, seinen Sie versichert, auch heute gibt es noch Unzählige, die diesem Irrtum erlegen sind. Einem Irrtum, den die sogenannten Volksparteien beim Volk absichtlich gedeihen ließen.

Selbstaufgabe des Bundestags
Eine schwarze Woche für Deutschland
Das Rentendesaster war unausweichlich programmiert, als Adenauer den Sozialdemokraten 1957 gab, was die wollten: Unsicheres Umlageverfahren statt sicheres Kapitaldeckungsverfahren. Adenauers Grundirrtum sei erwähnt: „Kinder kriegen die Leute immer“ – tja, seit den 1970ern kaum mehr als durchschnittlich eines je Frau. Norbert Blüm widersprach mir nicht, als ich ihm in einer Diskussion sagte, ja klar, die Rente ist sicher, die Frage ist nur in welcher Höhe.

Die Richtungsentscheidung war falsch, doch der Umgang mit ihr, das Tabu, bewahrt die Herrschenden bis heute recht zuverlässig davor, von Beitrags- und Steuerzahlern für den fortgesetzten Betrug zur Verantwortung gezogen zu werden.

Diese Methode, wirklich wichtige Themen dadurch nicht heiß werden zu lassen, dass sie im Parteienkonsens zum Tabu erklärt werden, haben die Kartellparteien in der Merkelzeit von der Rente auf alle wichtigen Fragen ausgedehnt: Ungesteuerte Zuwanderung, Entmachtung des Bundestags, Ermächtigung der EU, Energiewende, Coronanostand, Klimanotstand ante portas und so weiter. Bei keiner Frage wird nach Lösungen gesucht, sondern wird sündteure Verschiebung auf später praktiziert.

Das System der Beitragsrente ist tot, wissen alle Kundigen spätestens seit den 1970ern. Anstatt sie aus Steuermitteln zu bezuschussen, wäre eine Rentensteuer ehrlicher und billiger gewesen oder simpel die Rentenfinanzierung aus allgemeinen Steuermitteln (nicht zuletzt wegen des Wegfalls der sauteuren Rentenbürokratie). Aber dann hätte die politische Klasse ihr jahrzehntelanges Versagen und Betrügen eingestehen müssen. Und dass sie das nicht tut, ist so ziemlich das einzig Zuverlässige an ihr.

Das Politikversagen begann schon in der späteren Bonner Republik und setzte sich in der Berliner Republik unaufhörlich fort, seit Merkel exponentiell. Die Lockdown-Orgien wegen Corona werden die Kartellparteien in Maßnahmen-Orgien wegen des sogenannten Klimaschutzes fortsetzen wollen. Doch egal, ob und wie weit das gelingt, die Stunde der Wahrheit kommt – bei Rente,  Asyleinwanderung, Corona und Klima: bei einem Tabu nach dem anderen.

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