„Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren.“ Diesen Satz aus einer Wortmeldung von Jürgen Habermas spießte Tomas Spahn Mitte Februar 2023 auf, um seinerseits zu konstatieren: „Nicht verlieren bedeutet nicht zu gewinnen. Wer solcherart nach Verhandlungen verlangt, hat die Ukraine schon im Stich gelassen.“ Die Überschrift zu Spahns Beitrag war dann zugleich die Zusammenfassung: Eine Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf.
Die Parallele drängt sich auf: Ein Israel, das nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf. Für ihre geopolitischen Interessen sind die USA im Vorderen Orient und am Schwarzen Meer zu ähnlichen und unterschiedlichen Schritten bereit, aber immer der gleichen Gründe wegen: des innenpolitischen Taktierens in Washington im voll laufenden Präsidentschaftswahlkampf.
In der Ukraine nähert sich die Lage deshalb nicht aus kühler, überlegter Strategie einem Zustand, den man zynisch so fassen kann: Wenn die in Washington verzögerten Raketen doch in der Ukraine ankommen, hat die dortige Armee gar nicht mehr die Leute, um sie abzufeuern. Dass vorher die vollmundigen Ankündigungen von Präsident Macron – natürlich auch seinem Wahlkampf geschuldet – auf Entsendung französischer Truppen wahr werden, die dann anstelle der Ukrainer feuern, darf bezweifelt werden. Auch Freiwillige aus dem früheren Litauen-Polen könnten das Szenario nur verzögern.
Free Palestine in America
In Israel hat die weltweite Islamgemeinde mit der Frage der Verhältnismäßigkeit im Vorgehen Israels gegen die Hamas den Krieg praktisch gewonnen. Araber und Mohammedaner in den Staaten des Westens haben mittels ihres Gewichts als Wählergruppen der Democrats das Massaker an Kindern, Frauen und Männern, bei dem 1.200 getötet und 250 verschleppt wurden, mithilfe wahlkampfführender Politiker, Establishment und westlichen Medien aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht und durch die Bewegung Free Palestine ersetzt.
Ihr Ziel, Israel durch das Massaker in einen Krieg zu zwingen, den es nicht gewinnen kann, hat die Hamas erreicht. Nun ist die Hamas dabei, mithilfe der Araber und Mohammedaner als Bewegung Free Palestine bei den UN Schritt für Schritt einen Staat Palästina neben dem Staat Israel zu etablieren. Von dort bis zum Ende Israels als einzigem Staat der Juden ist es gefährlich nah.
Kriegswirtschaft Russland
Aber auch Putin muss innenpolitisch kalkulieren. Sein neuer Verteidigungsminister Andrej Beloussow will gegen die Ukraine mit möglichst geringen Verlusten bei den eigenen Streitkräften gewinnen und kündigte an, dass es keine neue Mobilmachung zur Rekrutierung weiterer Soldaten geben werde. Die Perspektive für die Ukraine aus Moskauer Sicht war nie so eindeutig wie jetzt. Präsident Putin hat mit der Ernennung des Wirtschaftsstrategen Beloussow der großen Transformation Russlands zu einer konsequenten Kriegswirtschaft vorderste Priorität verordnet.
Gegen diese Langzeitstrategie hat die Ukraine keine Chance. In seiner langen Geschichte hat das Land östlich des Flusses Dnjepr mehrfach zu Russland gehört, nachdem es Teil von Litauen-Polen gewesen war. Das wird nun wieder so kommen und auch dieses Mal nicht für immer. Die Ukraine kommt nicht ohne Landverluste aus diesem Krieg.
America First
Ob sich Washington damit abfindet wie mit einem Staat Palästina, ist für mich nicht die Frage, sondern nur wann. Von Biden oder Trump im Weißen Haus hängt das übrigens nicht ab. Beide haben auf die bürokratischen US-Eliten als Agentur der Big-Tech-Oligarchie zu hören, die Amerika beherrscht. Und diese kalkuliert ein, was sie der Bewegung Free Palestine geben muss. Big Business ist Big, weil es kalkuliert.
Von der Ukraine wird nach dem Krieg genug Land übrig bleiben für ihre Bürger, deren Vorfahren im Laufe der Geschichte Litauer, Ruthenen, Polen, Russen und Ukrainer waren. Die Ukraine kann sich – wenn nicht anders möglich – mit Russland auch ohne den Westen einigen.
Israel muss bei seiner begonnenen Zusammenarbeit mit den Herrschenden in Riad, Katar, Amman und Kairo anküpfen, die nicht wollen, dass Teheran ein Kalifat am Mittelmeer errichtet. Wenn das mit Netanjahu nicht geht, muss Netanjahu gehen.
Dass die USA in beiden Ländern nicht mehr riskieren werden, als die Herrschenden für ihre eigene Macht gut finden, steht hingegen fest – jetzt und immer schon.
Und soll die Freiheit im Westen gewinnen, muss dort der Einfluss der weltweiten Islamgemeinde, der Bewegung Free Palestine zurückgedrängt werden. Von den Herrschenden ist das nirgendwo zu erwarten. Aber in der Geschichte haben sich schon immer die Probleme ihre Löser selbst gesucht.