Tichys Einblick
Ein Praktiker spricht

Statt Lockdown Lebensqualität kreativ ermöglichen

„Wir könnten mit angezogener Handbremse weiterfahren, wir müssen nicht stehenbleiben. Verschärfungen, Drohungen, Lockdown: Das ist nicht die Aufgabe, sondern Lebensqualität kreativ zu ermöglichen.”

imago images / Future Image

„Die Corona-Angst isst die Realität auf“ überschreibt die Oberhessische Presse ein Gespräch mit dem Mediziner Dr. Ortwin Schuchardt aus Stadtallendorf. Was er dem Interviewer Björn Wisker sagt, stimmt mit dem überein, wie es „meine” Mediziner auch sehen. Nur findet das Wissen der Praktiker selten Eingang in Medien, eher noch in regionale als die von „Hauptstadtjournalisten” bestimmten – weil letztere sich mit Abweichendem vom Meinungseinheitsblock in demselben in Berlin Mitte sonst nicht sehen lassen können.

Aus Doktor Schuchardt spricht der Mediziner, der unter den Leuten wie du und ich lebt – und nicht im politmedialen Komplex:

Die Sorge, sich anzustecken, ist berechtigt. Viele werden erkranken, aber eben nicht schwer bis lebensbedrohlich. Diese Angst isst die Realität auf. Es geht nicht um Herunterspielen oder Ignorieren, sondern um Maß halten. Wir sind gut beraten, Covid-19 ernst zu nehmen. Diese Spirale aus Angst, Unruhe und hektischen Maßnahmen ist aber ungesund.

In der Berliner Zeitung lese ich: „Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat bestätigt, dass PCR-Tests eigentlich nicht in der Lage sind, eine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes festzustellen.” Abgesehen vom stets unangebrachten Einsatz des Wörtchens „eigentlich”, ist das jedem interessierten Laien zugängliche Wissen um die politisch wie intellektuell unredliche Gleichsetzung von „positiv” Getesteten mit Infizierten in Medien so gut wie nie zu finden; „negativ” PCR-getestet ist übrigens keineswegs eine Garantie für Nicht-infiziert.

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Ich erzählte neulich, dass „meine” Mediziner sagen, wie bei Grippe wäre in den meisten Covid-19-Fällen die angemessene Umgangsweise, zuhause zu bleiben und sich von anderen fern zu halten. Dass schwere Verläufe ins Krankenhaus müssen, ist klar – bei Influenza wie bei Covid-19, inzwischen wohl wegen Mutation bei Covid-20, sagt „mein“ Virologe (nach 20 folgen andere in den kommenden Jahren, Covid geht nicht mehr, sondern tritt zu Influenza hinzu). Auch wenn es viele vergessen zu haben scheinen: Der natürliche Umgang mit einer Krankheit ist ihre Behandlung.

Aus dem Gespräch mit dem Praktiker halte ich vier Aussagen fest, die klingen wie dem politmedialen Komplex ins Stammbuch geschrieben – am Vorabend einer Entwicklung, wo Stimmen wie seinen das Verdammungsurteil „Corona-Leugner” droht.

Feststellung eins: „Die Balance ist aus den Fugen geraten. Medizinisch bereitet uns Hausärzten Corona praktisch keine Probleme, vielmehr belasten uns die Tests und Bürokratie … Wir sehen kaum Katastrophenfälle. Anders sieht es jenseits von Corona aus: Die normalen, auch schweren Krankheiten finden weiter statt und werden von Covid-19 und den eingesetzten Ressourcen überlagert.”

Feststellung zwei: „Die wissenschaftliche, die virologische, die epidemiologische Perspektive ist wichtig. Aber es sind oft Labor- und Krankenhausperspektiven, die kaum etwas mit dem zu tun haben, was die Menschen in der hausärztlichen Versorgung bewegt und was wir Hausärzte sehen. Der Fokus liegt auf den vielleicht fünf Prozent, die nicht im ambulanten Bereich, sondern auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Das ist die falsche Bezugsgröße, wir müssen uns beim Umgang mit Corona auf die große Masse, nicht auf Extremverläufe konzentrieren.”

Feststellung drei: „Wenn das Virus in Alten- und Seniorenheime kommt, es sich dort verbreiten kann und man nicht ebenso schnell wie richtig reagiert. Um solche Einrichtungen müssen wir daher einen Schutzwall ziehen. Die medizinischen Test-Kapazitäten müssen wir dort hin verschieben, nicht in die Breite, auch nicht in Schulen. Nach allem, was man weiß, sind – Stichwort Hauptinfektionsgruppe 20- bis 59-Jährige – Erwachsene eher für Kinder ein Infektionsrisiko als umgekehrt. Wenn wir das Wissen aber nicht anwenden, kommen wir nie aus dem Ist-Zustand.”

Feststellung vier: „Wir brauchen Lösungen, das Leben in der Pandemie zu ermöglichen und nicht alles weiter vom Virus bestimmen zu lassen. Denn 2021 wird sich, egal was mit der Impfstoff-Entwicklung geschieht, nicht sehr viel ändern. Zwei Jahre wird es sicher bis zur Normalisierung dauern, bis dahin können und müssen wir nüchternen Umgang lernen. Wir dürfen nur die Wachsamkeits-Grenze nicht unterschreiten – aber die Latte dafür sollte man nicht ewig hoch legen.”

Die Ausbreitung des Virus geht unverändert in einem einzigen Sektor nicht nur ungebremst weiter, sondern verstärkt, weil nun gänzlich in den privaten Raum verdrängt und in Reaktion auf das Eingesperrtsein potenziert: im Sektor Geselligkeit und Zusammensein. Je länger und je heftiger der Geist des Polizeistaats diesen Sektor zum Stillstand bringen will, desto mehr entfaltet er sich. Es gibt keine Maßnahmen, mit denen das verhindert werden kann.

Kleinsträumliche Sofortmaßnahmen wirken, hatte ich geschrieben. Gezielt vorgehen, nicht flächendeckend. Doktor Schuchardt sagt dazu:

Es gibt heute mehr Infizierte denn je, aber wir haben kein Problem, obwohl das Virus ja nicht lieber geworden ist. Wir könnten mit angezogener Handbremse weiterfahren, wir müssen nicht stehenbleiben. Verschärfungen, Drohungen, Lockdown: Das ist nicht die Aufgabe, sondern Lebensqualität kreativ zu ermöglichen.

Aber diese Einsicht wird sich in der Classe Politique erst durchsetzen, wenn sie mit ihrem Latein so am Ende ist, dass sie um ihre Macht fürchten muss. Nun denn, dann mit Beckenbauer: Schaun mer mal, dann sehn mer scho.

p.s.: Österreichs Gesundheitsminister Anschober droht aktuell mit noch mehr Einschränkungen, weil die bestehenden des neuen Lockdown keinen Rückgang der „positiv” PCR-Getesteten bringen. Was fordert er, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen mehr möglich sind? Und sich das Virus trotzdem weiter ausbreitet, weil es nie mehr verschwinden wird?

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