Ein einziger Artikel im KURIER macht in zwei Absätzen, im ersten und im fünften, den Spannungsbogen der Corona-Politik nicht nur in Österreich auf:
Absatz 1: Gemessen an der Einwohnerzahl hat Österreich derzeit die höchste Rate an bekannten Covid-Neuinfektionen weltweit. Das zeigt eine Aufstellung der Datenplattform „Our World in Data“. Im für Vergleiche üblichen sieben Tages Schnitt liegt Österreich mit 831 Neuinfektionen pro Million Einwohner vor Georgien, der Schweiz und Tschechien. Während die Schweiz und Tschechien ihre Neuinfektionen zuletzt einbremsen konnten, sind jene in Österreich seit Mitte Oktober ungebremst gestiegen.
Absatz 5: Bei den Todesfällen ist Österreich von internationalen Rekordwerten freilich weit entfernt. Hier liegen in Europa aktuell Slowenien, Belgien und Frankreich vor Österreich.
Nein, ich will hier den Unterschied zwischen „positiv“ und „negativ“ Getesteten nicht neu strapazieren, auch nicht, dass ein und die selbe Person sich zwischen „positiv“ und „negativ“ getestet innerhalb kurzer Zeit mehrfach wechselnd wiederfinden kann, ebenfalls nicht, dass „positiv“ getestet und infiziert nicht identisch ist, dass infiziert nicht erkrankt bedeuten muss, dass erkrankt nicht schwer erkrankt sein muss und dass sich ein „negativ“ Getesteter plötzlich auf der Intensivstation wiederfinden kann.
Doch nun zum zweiten Lockdown in Österreich, über den Kanzler Kurz den „Österreichern und Österreicherinnen“, von Vizekanzler Kogler ergänzt um „und Menschen, die in Österreich wohnen“, volkspädagogisch zutreffend sagte, sie würden ihn ja schon aus dem ersten Lockdown kennen.
Daran ist richtig, dass der Hausarrest mit wenigen Ausnahmen erneut verhängt wird: Die eigen vier Wände darf man verlassen, um zur Arbeit zu gehen, den Bedarf des täglichen Lebens zu decken, also Lebensmittel einzukaufen, Banken, Drogerien und Apotheken aufzusuchen, den Arzt, die Therapie, Hilfsbedürftigen zu helfen, sich draußen die Beine zu vertreten oder Einzelsport zu treiben. (Ein erlaubter Grund rauszugehen, blieb diesmal unerwähnt, dem Hund Auslauf zu verschaffen; gut so, also wird eine bestimmte Gattung Zeitgenossen nicht wieder Tierheime leerkaufen und die armen Vierbeiner nach dem Ende des Lockdowns irgendwo aussetzen.)
Beim Lockdown wird nun gezwungen, aber der Zwang funktioniert genau bei den Generationen nicht, die dazu verzogen wurden, alles zu kriegen, alles zu haben, alles zu dürfen, keine früher selbstverständlichen Rücksichten auf andere nehmen zu brauchen und so weiter. Der Zwang funktioniert übigens auch bei den meisten Migranten nicht, weil deren Traditionen des Zusammenseins dort in jedem Fall stärker sind, wo sie in Großfamilien oder Nachbarschaften leben.
Ich will nicht abwertend von Partyszene sprechen. Aber das Generationenphänomen Party als einzig verbliebene Form von Freizeit als Freiheit der Generation iPhone ist ein starkes Motiv, jedem Lockdown zu entwischen: Ja, der verordnete Zwang verstärkt die Motivation, der spannende Geruch der illegalen Party als Abenteuerform tritt hinzu, als Wettbewerb außerhalb der konformen Zone. Und nicht zu vergessen: Dieses Verhalten der Generation iPhone ist auch das der Generation ihrer Eltern der gut verdiendenden Mittelschicht.
Dort wo es Demonstrationen gegen den Lockdown gibt, höre ich von Freunden aus verschiedenen Ländern, fällt diesen auf, dass die meisten Demonstranten klassische Grünenwähler sind, und dass deshalb auch überall grüne Politiker dazu auffallend schweigen. In Österreich nicht so eindeutig, weil die Grünen zur Regierung gehören?
In den Schulen, im Kulturbetrieb, in der Gastronomie jenseits der Partyschuppen und in der Hotellerie, auch im Einzelhandel, in den Kirchen und so weiter haben die Verantwortlichen derart viel und oft innovativ in Abstand und Hygiene investiert. Es gibt keine vorzeigbare Begründung für den neuen Lockdown.
In Wahrheit sperrt solche Politik ALLE ein, weil sie die Abstandsignoranten nicht erreicht, ihrer nicht habhaft werden kann. Dass sie diese auch durch den kollektiven Hausarrest ALLER nicht eingesperrt kriegt, gesteht sich solche Politik nicht ein.
Wenn die sogenannten Fallzahlen nun bis St. Nikolaus deutlich runtergingen, was dann? Lockern und um Dreikönig herum feststellen, dass sie wieder raufgingen, Lockdown 3 und wieder alles von vorne?
Auch wieder im KURIER finde ich eine Antwort, mit der Kurz sich in die nächste selbst gestellte Falle nach den „Fallzahlen“ genannten nicht aussagefähigen PCR-Tests begibt:
Zur Wiederöffnung, bei der Schulen und der Handel Priorität hätten, müsse man „so behutsam, so vorsichtig und so diszipliniert wie möglich reagieren, dass wir bis zur Impfung durchkommen“, so Kurz …
Die Impfung werde der „Gamechanger“ in der gesamten Frage sein. Kurz rechnet damit, dass im ersten Quartal 2021 die ersten Impfungen verabreicht werden können. In einem ersten Schritt werden besonders vulnerable Gruppen und das Gesundheitspersonal geimpft.
Das bedeutet, so lange Kurz und seine Regierung dabei bleiben, dass mit einem für Kultur, Wirtschaft und Mensch ruinösem Lockdown nach dem anderen erst Schluss ist, wenn geimpft wird, erzwingt die Frage: Wann ist das? Ostern? Ostern 2021 oder 2022 oder?
Im Moment ist der Kurz’sche Lockdown härter als der Merkel’sche. Wie lange sie das aushält? Erst wird Bayerns Söder Österreichs Kurz nachmachen, wenn nicht übertrumpfen wollen. Dann überbietet Merkel Söder. Politische Prognose wird immer öder.
Pamela Rendi-Wagner, Obfrau der SPÖ, ist Infektiologin, Epidemiologin und Tropenmedizinerin. Sie habilitierte 2008 zum Thema „Prävention durch Impfungen“. Politisch habe ich sie noch nicht maßgebend erlebt. Doch wenn sie jetzt sagt, „Der Weg in den dritten Lockdown ist programmiert“, stimme ich ihr uneingeschränkt zu.
Ist Sebastian Kurz nun auch dem Wettkampf des Berufspolitikers mit den anderen Berufspolitikern um die härtere Corona-Politik iin den Einheitsmeinungsmedien erlegen? Sieht ganz so aus. Schade.