Nötig ist eine anarchische Aufwallung, schreibt Wolfgang Herles in seiner neuen Kolumne, die zugleich eine Antwort an die Kritiker seiner vorhergehenden ist – darunter auch an mich –, aber weit darüber hinaus die Frage nach dem Wie des wünschenswerten Richtungswechsels anpeilt, die ich in meiner Kolumne ebenfalls ansprach: Zum Dilemma der sogenannten Liberal-Konservativen – ich bin keiner – gehört auch, dass sie nach den früheren Regeln spielen, an die sich die „Grün“-Woken und ihre schwarzrotgelben Hilfswilligen samt Zeitgeist-Medien nicht halten.
Herles kündigt ein neues Buch an, dessen Titel einen Radikalliberalen wie mich natürlich hoch neugierig macht: Was Deutschland braucht, ist eine anarchische Aufwallung, die das System herausfordert, die den Druck im Kessel erhöht. Wie? Das erkläre ich ausführlich in meinem Buch, das demnächst erscheinen wird: „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“
Wenn ich das Buch und was Wolfgang Herles dazu in seiner Kolumne schreiben wird, gelesen habe, kann die Debatte weitergehen. Vielleicht beteiligen sich an ihr auch andere Autoren.
Herles schreibt in der aktuellen Kolumne: Wo sollen fähige, allseits akzeptierte Führungsfiguren denn herkommen? Aus den Parteien? Der Wurm sitzt nicht in einzelnen Parteien – allen –, sondern im System des Parteienstaats. Eine Kaste von Berufspolitikern hat ihn im Griff. Man wird ihn, wie er in Deutschland nun einmal entstanden ist, nicht ändern können ohne eine Reform der repräsentativen Demokratie, also vor allem der Parteien. Weniger Berufspolitiker, kürzere Amtszeiten, mehr direkte Demokratie (aber keine Räte!). Wer aber soll das tun: die Parteien, wer sonst. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
In der Tat, die Frösche werden den Sumpf nicht trocken legen. Dann aber fragt sich erst recht, was sollen die Freunde der Freiheit tun, wenn die herschenden Woken nicht nach den Regeln von Demokratie und Recht spielen, sondern nach ihren, die sie jeweils einseitig ändern, wenn sie ihnen nicht passen?
Nicht nur Wolfgang Herles, praktisch alle TE-Autoren, schätzen einerseits den deutschen Parteienstaat ähnlich ein wie ich, wenn auch nicht so radikal, andererseits setzen sie alle, ausgesprochen oder unausgesprochen, auf seine Reform. Die einen tatsächlich, die anderen, weil sie sich ein anderes Procedere als Wahlen nicht vorstellen wollen, obwohl sie keine Illusionen über die weit fortgeschrittene Zerstörung freier Wahlen haben. Kurzum, sie wissen, meine Behauptung stimmt, dass der deutsche Parteienstaat nicht reformierbar ist – und hoffen auf seine Reform. Dass ihr Hoffen so innig und unerfüllbar zugleich ist wie das Vertrauen von vielen – nicht allen – AfD-Anhängern auf das Allheilmittel AfD, fällt beiden Seiten anscheinend nicht auf.
Der alte Stammleser Johann Thiel kommentierte meinen Beitrag mit diesen Worten: Trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen, eint Herrn Goergen und Herrn Herles ihre Art, sich der Problematik zu nähern. Für beide steht nicht die Lösung selbst im Vordergrund, sondern der Weg dorthin. Ein „Haltungsproblem“ aller Publizierenden. So wollen beide lieber die Taube auf dem Dach als den Spatz in der Hand. Der eine durch unrealistische Erwartungen an die Union, der andere durch unerfüllbare Forderungen an das Parteiensystem. Auf diese Weise verweigern sich beide realistischen Lösungsansätzen, die naturgemäß immer den Charakter eines „Versuchs“ haben. Aber mehr bietet die Realität halt nicht.
Was Herles und mich sicher eint, ist, dass wir beide gern in der Bonner Republik lebten, jedenfalls bis in die Mitte der 1980er Jahre.
Thiel und Herles und andere TE-Autoren sind am neuralgischen Punkt einer Meinung: Sie setzen auf die Reformfähigkeit des deutschen Parteiensystems, Thiel meint, das geht nur mit der AfD, Herles nur mit einer „bürgerlichen“ Konstellation. Thiel würde zur letzteren die AfD hinzuzählen. Und ich behaupte, keine Konstellation und keine Partei, auch keine, die es noch nicht gibt, kann den deutschen Parteienstaat zu Demokratie und Recht führen.
Eine Stunde später schob Thiel diesen Kommentar nach: Gut beschrieben, lieber Herr Goergen, Sie haben die Situation treffend auf den Punkt gebracht. Nun stellt sich mir allerdings die Frage, ob Sie Ihre Einschätzung, das sich die AfD diesem grünwoken Kartell anschließen würde, wenn sie könnte, weiter aufrecht erhalten. Denn in diesem Zusammenhang die AfD unerwähnt zu lassen, erscheint mir ein wenig, wie soll ich es sagen, liberal-konservativ, ? es sei denn, Sie gehen davon aus, dass die Umfragewerte dieser Partei ein vorübergehendes Phänomen sind. Jedoch scheint, angesichts einer bürgerfeindlichen Politik der Altparteien, eher ein weiterer Zulauf zur AfD wahrscheinlich.
Darauf antwortete ich: Lieber Herr Thiel, die AfD ist kein Heilmittel, nur ein Placebo – ohne dass ich die Wirkung von Placebos auf die dafür Empfänglichen unterschätzen will.
Thiel, nie um einen Kommentar verlegen, replizierte: Hahaha, stimmt, die Wirkung von Placebos ist zumindest durch die Union und deren Wirkung auf namhafte Probanden eindeutig bewiesen. Bei der AfD können wir es nicht wissen, solange wir die „Einnahme“ verweigern.
Mit der Placebo-Wirkung auf Probanden der Union (die nicht genannte FDP eingeschlossen) hat er natürlich recht, er hätte seine Anmerkung auch auf manche TE-Autoren ausweiten können. Wie ich oben schrieb: Kurzum, sie wissen, meine Behauptung stimmt, dass der deutsche Parteienstaat nicht reformierbar ist – und hoffen auf seine Reform.
Johann Thiel, ich und andere Interessierte sollten auf Herles‘ Buch „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“ warten und dann weiter diskutieren. Dabei sollten wir die Frage einbeziehen, dass politische Parteien unabhängig vom Programm strukturell „Gleichmacher“ (wofür auch immer) sind, welche die für Demokratie und Recht entscheidenden einzelnen Politiker vom Typ „Freimacher“ systematisch aussortieren. Zur freiwilligen Feuerwehr gehen die Leute nicht, um einen Feuerwehrhauptmann zu wählen und ihm beim Löschen zu applaudieren, sondern um selbst zu löschen. Bei Parteien ist das ganz und gar anders.
Noch einmal aus Herles‘ Kolumne: Der Zeitgeist kann und wird umschlagen. Es liegt in der Luft. Aber an eine Revolution glauben nur Traumtänzer.
Das Umschlagen des Zeitgeists meine ich auch immer mal wieder zu riechen, wenn auch in homöopathischen Dosen. Spürbar umschlagen wird er erst, wenn passiert, was Herles niemandem wünschen will, dass sich all die Mängel, Versäumnisse und Krisen zu einer verheerenden Megakrise ballen und das unbelehrbare Volk hart auf den Boden der Tatsachen aufprallt.
Wünschen will ich das den Bürgern nicht, die wie eh und je ihrer Arbeit nachgehen, für die Ihren sorgen und oft ehrenamtlich für andere. Den Mitgliedern des medial-politischen Komplexes, die für den Niedergang einer einst bemerkenswert gut und relativ frei lebenden Gesellschaft verantwortlich sind, wünsche ich ihren möglichst harten Aufprall auf den Boden der Tatsachen.
An eine Revolution in Deutschland glaubt wohl niemand. Ich jedenfalls nicht. So bleibe ich bis zu neuer Erkenntnis dabei: Welche Partei kanzlert, ist egal: jede Regierungskonstellation im real existierenden deutschen Parteienstaat agiert „grün“-woke, solange der aus den USA importierte Wokismus dort nicht zuerst sein Ende findet.
Wie Wolfgang Herles sieht auch Roland Tichy den Zeitgeist wanken: Die Zerstörung des Normalen wird unter der Ampel normal, und die Bürger beginnen, es zu spüren. Kein Wunder, dass sich ein paar wehren. Die Mehrheit wacht langsam auf.
Bei der „anarchischen Aufwallung“, lieber Wolfgang Herles, bin ich gerne dabei. Und natürlich erst recht bei „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“