Lange habe ich überlegt, ob ich das auf TE wirklich anpacke. Warum? Weil ich beobachte, dass die Bereitschaft gering ist, die Dinge anders zu sehen als üblich. Darum aber genau geht es bei dem, das mich umtreibt. Also versuche ich es mit einer Serie von kurzen Darstellungen meines anderen Blickwinkels statt einer langen, zusammenhängenden Abhandlung.
Heute fange ich mit einer trivialen Frage an. Auch in Leserkommentaren finde ich immer wieder die Anmerkung, die Parteien, die es schon länger gibt, würden sich voneinander doch gar nicht mehr wirklich unterscheiden. Das sehe ich seit langem genau so. Doch diese Leser wie praktisch alle Zeitgenossen, deren Meinungen ich mitkriege, gehen zugleich wie selbstverständlich davon aus, dass die Dinge wieder ins rechte Lot oder erstmals auf die „richtige“ Spur kommen, wenn bloß die „richtigen“ Parteien genug Stimmen kriegen, weil sie dann für die „richtige“ Politik sorgen.
Der deutsche Parteienstaat ist nicht reformierbar
Das ist meine erste These in der Serie: Politische Parteien haben sich im deutschen Parteienstaat in einen Zustand hinein dermaßen fehlentwickelt, dass sie zur Lösung der heute drängenden Probleme nichts mehr beitragen können, weil der Parteienstaat selbst als besonders drängendes Problem dazu strukturell nicht fähig ist. Der deutsche Parteienstaat ist nicht reformierbar. Er kann sich weder am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, noch denselben trockenlegen. Ihn trocken zu legen, wäre der Selbstmord der Frösche. Das ist keine realistische Erwartung.
Kaum etwas ist schwerer, als sich von gewohnten Mustern und Rastern zu trennen. In allen Medien rauf und runter, in den alten wie den neuen, schaut jeder durch die Parteienbrille auf unsere Welt – selbst die meisten Autoren von TE. Alle bleiben in der politischen Wortwelt von links, rechts und Mitte, obwohl sich damit wie mit allen „Wieselwörtern“ kein Pudding an die Wand nageln lässt: hier der Blick durch die Parteienbrille keine Sehschärfe bringt, sondern jegliche verschwimmen lässt.
Die Parteien leben am Volk vorbei
Womit ich in dieser ersten Folge bei der Frage bin: Was sind die Parteien heute? Artikel 21: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dass Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, davon konnte allenfalls eine Zeit lang in der Bonner Republik die Rede sein. Spätestens seit den 1980ern lautet mein Befund, dass die Parteien nicht im Traum daran denken, das Volk an ihrer, der Parteien, politischen Willensbildung mitwirken zu lassen.
Doch damit nicht genug: In den Parteien selbst findet eine politische Willensbildung längst nicht mehr statt. Dass Parteiprogramme geschrieben und beschlossen werden, widerspricht dem nicht. Das sind wirkungslose Turnübungen von Parteimitgliedern, die sich trostlosen Geschäftsordnungsdebatten unterziehen. Wer in eine Partei ging, um bei der politischen Willensbildung mitzuwirken, also politisch mitzugestalten, hat meist die Flucht ergriffen. Dass die Parteien sich nach ihren Beschlüssen an diese nicht halten, ist bekannt (gekrönt durch Feudalherrin AM, die das erst nachträglich, nun schon vorher mitteilt).
Berufspolitiker sind der neue Adel
Was in den Parteien, scheinbar den Vorschriften der innerparteilichen Demokratie folgend, abläuft, ist nur noch die politische Kulisse für eine Berufspolitikerklasse, die sich wie im historischen Feudalismus selbst ergänzt. Damals lieferte der sogenannte Adel durch Erbfolge den Nachwuchs der herrschenden Klasse. Heute bestimmt eine Handvoll Leute an der Spitze der Bundestagsfraktionen, wer Berufspolitiker wird und bleibt (im Adel wurde in der Regel für eine qualifizierte Erziehung und Bildung gesorgt – im Neuadel Berufspolitiker nicht.)
Wahlen sind jedenfalls nicht der Vorgang, mit dem in Deutschland politische Weichen gestellt werden. Dazu mehr in der nächsten Folge, in der ich einen Unterschied zwischen Deutschland und allen Nachbarstaaten beschreibe, der in der veröffentlichten Meinung nie stattfindet. Nur in Deutschland ändert sich durch Wahlergebnisse nichts: Weil die Parteien der Gewerkschaft der Berufspolitiker (Parteienstaat) mit den wirklichen Probleme des Landes in keiner Koalitionskonstellation anders umgingen als in der jetzigen (die Bundesländer einbezogen: den jetzigen). Wie sie mit den wirklichen Problemen umgehen? Vorzugsweise gar nicht.
In allen Ländern rund um Deutschland herum kann sich die dortige Politik durch Ergebnisse von Wahlen ändern, hat es da und dort schon getan und ist dabei, diesen Prozess der Veränderung fortzusetzen. Dazu mehr in der nächsten Folge.