Tichys Einblick
Die SPÖ vor der Richtungsentscheidung

Österreich: Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil oder Sozialist Andreas Babler

Auf weiten Strecken verbirgt sich hinter Doskozil oder Babler auch der alte Kampf der nach Zahlen schwachen Sozialdemokraten auf dem Lande gegen die Sozialisten der Wiener Metropolen-SPÖ.

Hans Peter Doskozil (SPÖ) nach der Vorstandssitzung der SPÖ im Parlament am 23. Mai 2023 in Wien, Österreich

IMAGO / SEPA.Media

Doskozil hat in der Mitgliederbefragung die Macht der Wiener SPÖ erschüttert. Hinter der Machtfrage in der SPÖ geht es um die gesellschaftspolitische, ideologische Richtung zwischen Doskozils Vorstellungen nahe an sozialer Marktwirtschaft und dem von Stamokap geprägten Babler, der gern eine woke Ampelregierung bilden möchte. Auf weiten Strecken verbirgt sich dahinter auch der alte Kampf der nach Zahlen schwachen Sozialdemokraten auf dem Lande gegen die übermächtigen Sozialisten der Wiener Metropolen-SPÖ.

Bei den Mitgliederzahlen ist die SPÖ alles andere als transparent, seit die einst sehr starke Arbeiterpartei vor allem durch die Überalterung ihrer Mitgliederstruktur massiv schrumpft. Von den 700.000 im Jahre 1980 ging es auf 140.000 heute (ÖVP 600.000, FPÖ 60.000, Grüne 7.000, NEOS und KPÖ je um die 2.500). Noch 2017 gab es die offizielle Wiener Mitgliederzahl von 45.000, jetzt wird von Datenschutz gefaselt und die inoffizielle Zahl 35.000 gehandelt. In Niederösterreich sollen es 30.000 sein, dann folgen Oberösterreich 23.500, Steiermark 18.500, Burgenland 11.800, Kärnten 10.000, Salzburg 8.000, Tirol 3.000, Vorarlberg 1.000. Auf dem SPÖ-Bundesparteitag am 3. Juni in Linz werden 609 Delegierte über Doskozil und Babler abstimmen: aus Wien 96, Niederösterreich 84, Oberösterreich 64, Steiermark 51, Burgenland 28, Kärnten 27, Salzburg 13, Tirol 11, Vorarlberg 5 – SPÖ International 1. Zusammen: 380 Delegierte.

229 Delegierte liefern die Mitglieder des Bundesparteivorstands und der Kontrollkommission,  Bundesgeschäftsführer, 50 Gewerkschafter, SPÖ-Bundesfrauen und Delegierte der Landesfrauenvorstände, Vertreter und Klubdirektoren der SPÖ-Parlamentsfraktion, Delegierte der Jugendorganisationen, vom SPÖ-Wirtschaftsverband, vom Bund Sozialdemokratischer Akademiker und SPÖ-Lehrerverein, Delegierte von SPÖ-Bauern und Gemeindevertreterverband, der Red Biker, der „Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer“ und der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratie & Homosexualität, Delegierte vom Arbeiter-Sängerbund, der Initiativ- oder Projektgruppen, acht Themeninitiativen in der SPÖ …

Nichts kann die SPÖ zwischen vorgestern, gestern und heute besser beschreiben als diese Delegiertenzusammensetzung. Wem da die neuen Bestrebungen der Grünroten in Deutschland einfallen, mit „Räten“ jede demokratische Ordnung zu umgehen, dem geht es wie mir. Die Funktionärspartei SPÖ ist sozusagen der urzeitliche Vorläufer der modernen Formen grünroter Demokratiebeschränkung.

Doskozil zielt mit seiner politischen Agenda in ein anderes Wählersegment als Babler. Doskozil will ehemalige Rote von den Blauen zurückholen. Dass die SPÖ dabei an Grüne und KPÖ verlieren könnte, kalkuliert er ein: Im Saldo macht seine sozialdemokratische Strategie die SPÖ anschlussfähig an ÖVP und FPÖ, und sozialdemokratisch sind mehr Stimmen zu holen als sozialistisch. Für deutsche Leser: Die SPÖ hat schon mehrfach in ihrer Geschichte das S im Parteinamen mal sozialistisch und mal sozialdemokratisch dekliniert – von 1945 bis 1991 hieß es Sozialistische Partei, seitdem heißt es wieder Sozialdemokratisch wie bei der Gründung 1889: Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), von 1918 bis 1934 Sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs (SDAP).

Mitten in der Mitgliederbefragung zum künftigen Bundesvorsitzenden bildete sich eine „Bundesländerallianz für ein neues Miteinander“: Die Landesparteichefs wollen in der Bundespartei gehört werden. Deshalb dürften auch die meisten von ihnen hinter dem „starken“ Doskozil stehen. Ihm trauen sie zu, „denen in Wien“ Paroli zu bieten – was Doskozil in den vergangenen Jahren oft genug getan hat.

Den Wien-Länder-Konflikt gibt es auch bei der ÖVP, doch dort waren die schwarzen Landeshauptleute immer eine starke Kraft. Bei der SPÖ spiegelt der Wien-Länder-Konflikt zugleich die ideologische politisch-kulturelle Bruchlinie zwischen „Woken“ und „Normalen“, zwischen der Metropole Wien wie in anderen Metropolen der westlichen Welt und dem Land. In den Ländern herrscht von den größeren Landeshauptstädten abgesehen die alte Gesellschaftsstruktur und das alte Partei-Leben. Bürgermeister und Landesfürsten, eine dichte Vereinsstruktur, viel echtes Ehrenamt sorgen für eine Verwurzelung in der jeweiligen Landeskultur, die schon immer gegen die in Wien geprägt war. Die aber nun durch „Woke“ gegen „Normalos“ eine neue Aufladung erhalten hat.

In ihren Äußerungen intonieren Doskozil und Babler beide, die SPÖ so stark machen zu wollen, dass sie die schwarz-blaue Koalition auf Bundesebene verhindern können. Nach den letzten Landtagswahlen regieren ÖVP und FPÖ in drei Bundesländern: Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg. Steiermark und Tirol werden schwarz-rot regiert, Kärnten rot-schwarz. Im Burgenland regiert seit 2020 Doskozil mit der SPÖ allein, von 2015 bis 2020 hatte er das Land zusammen mit der FPÖ geführt. Der koalitionspolitische Unterschied zwischen Doskozil und Babler ist einfach so beschrieben. Doskozil käme mit der ÖVP genauso klar wie mit der FPÖ, und wenn es denn sein muss, auch mit jeder anderen Konstellation. Babler steht die FPÖ-Variante nicht zur Verfügung, dafür hätte er aber gar nichts gegen Grüne-KPÖ-Neos-SPÖ, was zu seiner Stamokap-Herkunft gut passte.

Schau’n wir mal, dann seh’n wir schon.

Ach so, noch eins: Finden Sie die österreichische Politiklandschaft bei allen strukturellen Verwandtschaften nicht spannender als die deutsche?

Und dann noch was Persönliches. Mein Stammwirt fragte mich die Tage, was der Unterschied zwischen Doskozil und Babler wäre. Meine zugegebenermaßen etwas flapsige Antwort: Doskozil würde das Zerbröseln der SPÖ ein paar weitere Jahre hinausschieben..

Anzeige
Die mobile Version verlassen