Mit einem Zitat von Hannah Arendt als Antwort schloss Teil 1 zum NZZ-Interview mit Niall Ferguson von
„Wer – wie Hannah Arendt in ihrem Buch über die Ursprünge totalitärer Herrschaft – auf strukturelle Parallelen der beiden Totalitarismen hinwies, wurde fortan nicht mehr gehört oder schlechtgemacht. Damit war der moralische Sieg der Sozialisten und Sozialdemokraten über die Liberalen und Konservativen besiegelt.”
Eine Frage von
lautete:Ferguson erwähnt, dass er zur Zeit des sogenannten Historikerstreits 1986 und 1987 Student war und sagt: „Das war zweifellos ein entscheidender Moment, in dem sich eine Art Dogma verfestigte, das weit über Deutschland hinausreichte.” Seine eigene Position in diesem Historikerstreit: „Stalinismus und Nationalsozialismus lassen sich nicht vergleichen.”
In Rainer Zitelmanns Buch: „Hitler, Selbstverständnis eines Revolutionärs”, 2017 in 5., erweiterter Neuauflage erschienen – finden sich zusätzlich zu seiner 30 Jahre alten Dissertation weiterführende Aufsätze, vor allem aber zahlreiche protokollierte Monologe und Tischreden von Hitler in geschlossenen Zirkeln. Spätestens sie entziehen dem Bild der Habermas-Gemeinde den Boden, das Ferguson so fasst: „Der Konservativismus ist die Vorstufe des Nationalsozialismus, der seinerseits nichts mit dem Sozialismus zu tun hat, den er dennoch im Namen trägt …”.
Zitelmann stimme ich zu, wenn er schreibt (Seite 526), der Nationalsozialismus sollte „nicht primär als Antimarxismus interpretiert werden. Er war vielmehr eine alternative, konkurrierende revolutionäre Bewegung, die nicht die Vernichtung des Marxismus zum Hauptziel hatte, sondern ihn vielmehr vernichten musste, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der Nähe zu ihm.”
Vom „Konservativismus als Vorstufe des Nationalsozialismus” ist nur ein Schritt zur irreführenden antifaschistischen Formel vom Faschismus als Folge des Kapitalismus. Dass die Gleichsetzung des Faschismus eines Mussolini mit dem Nationalsozialismus eine Verharmlosung des NS-Staats bedeutet, ist nur wenigen bewusst und ermöglicht, dass nicht nur in Deutschland der Begriff Faschismus statt Nationalsozialismus weithin unbeanstandet durchgeht. Wem diese Wortwahl im Streit der Ideologien nutzt, liegt auf der Hand: Das Wort Faschismus enthält den Wortteil Sozialismus nicht.
Warum Habermas‘ Deutung sich durchsetzte, erklärt Ferguson auf diese Weise :
„Weil in den 1980er Jahren in der Akademie bereits eine sozialdemokratische Mehrheit den Ton angab, besonders in der deutschen Historikerzunft. Ernst Nolte und Michael Stürmer unterlagen gegen Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka und all die anderen aufstrebenden Historiker. Diese Entwicklung war nur konsequent, denn denken Sie daran: Hitler hatte den Zweiten Weltkrieg verloren, und Stalin hatte ihn gewonnen. Die Sowjetunion war am Ende auf der Siegerseite, die während und nach dem Krieg nach einer positiveren Sicht verlangte. Uns allen wurde der Holocaust in Schulen und Medien eher nähergebracht als Stalins Verbrechen.”
Wie gesagt, Stalins Angriffskrieg auf Polen und sein Nichtangriffspakt mit Hitler kamen im oben erwähnten Dokumentationsteil über den zweiten Weltkrieg einfach nicht vor.
Ferguson ergänzt:
„Es gibt kaum Seminare, die sich mit dem Bösen am Sozialismus und Kommunismus auseinandersetzen – das gibt es in Stanford nicht, ebenso wenig in Oxford und wohl auch nicht in Zürich. Die Verbrechen der Sozialisten werden heruntergespielt, die Verbrechen der Faschisten hingegen dienen dauernd als universelle Vergleichsgrössen, wenn in neueren Geschichtsbüchern etwa von Genoziden der Kolonialherren die Rede ist.”
Damit knüpft das Interview Scheu mit Ferguson bei der Schilderung des Historikers im vorderen Teil an, worum es heute an den Hochschulen (geisteswissenschaftlichen Fakultäten) geht:
„Die Palette reicht von Identity-Politics über Intersektionalität – womit die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung gemeint ist – bis hin zu Gender und African-American Studies. Dabei gibt es einen gemeinsamen Nenner: Es galt und gilt, den Kanon der toten weissen Männer zu dekonstruieren.”
Der unterdrückende weiße Mann, schuld an allem Bösen in dieser Welt, das sei doch ein Klischee, wirft Scheu ein, und Ferguson entgegnet staubtrocken:
„Klar. Aber der Topos hat sich in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten – jedenfalls der angelsächsischen Welt – durchgesetzt.”
Und nicht nur dort, erlaube ich mir anzufügen.
Den Teil 2 schließe ich mit dem Hinweis, dass Teil 3 damit beginnt, ob Ferguson sich selbst als Konservativen versteht. Seine Antwort lautet:
„Meine linken akademischen Kollegen haben es sich zur Angewohnheit gemacht, mir dieses Prädikat anzuhängen. Und gemessen an ihnen bin ich zweifellos konservativ. Aber ich fürchte, ich bin kein Konservativer im eigentlichen Sinne. Vielmehr bin ich ein klassischer Liberaler, ein Kind der schottischen Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts.”