„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Diesen Absatz 1 des Artikel 38 des Grundgesetzes zitiert Hugo Müller-Vogg in seiner Replik auf meinen Beitrag, dass Direktmandate nicht den Parteien „gehören“ und fügt an: „Niemand kann also ein Mitglied des Bundestags zwingen, sein Mandat niederzulegen. Nur: Das gilt für direkt gewählte MdBs genauso wie für über die Landeslisten ins Parlament eingezogene. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten hängt also nicht von seinem Wahlergebnis ab.“
Dass der Sitz von direkt gewählten Abgeordneten bis zur nächsten Wahl nicht unbesetzt bleibt, wenn einer stirbt oder zurücktritt, ist ein Systembruch, der nur einen Grund hat: Nichts soll die politische Arithmetik der Parteien durcheinander bringen. Je die Hälfte des Bundestags sollen direkt und indirekt gewählte Abgeordnete sein, will das Grundgesetz. Stört etwas die Interessen der Parteien, ersetzen sie eben einen direkt gewählten durch einen von der Partei bestimmten. Nicht alles, was durch Gesetz legal ist, ist auch legitim.
Müller-Vogg beschreibt die Wirklichkeit des Parteienkartells im Unterschied zu dem, was das Grundgesetz will, kenntnisreich und zutreffend. Ich bin ihm dankbar für die guten zusätzlichen Argumente für meine Forderung, alle Abgeordeten für alle Parlamente direkt zu wählen, das Parteienprivileg im Grundgesetz zu streichen – auch mit der Konsequenz, dass Parteinamen auf Stimmzetteln entfallen. Die Kandidaten für die Direktwahl haben ebenso wie alle Parteien, die dann Vereine sind wie alle anderen Vereine auch, jede Freiheit, der Öffentlichkeit mitzuteilen, welchem Verein sie angehören – aber nicht auf dem Stimmzettel.
Die anderen Möglichkeiten, der Stimme des Bürgers ein möglichst großes Gewicht zu geben, in den kleinsten Einheiten der Gesellschaft und auf allen Ebenen, auf denen politische Entscheidungen notwendig sind, will ich hier nur erwähnen. Der Phantasie zur Mitwirkung der Bürger sind mit Volksabstimmungen, Volksbegehren und der direkten Wahl von Abgeordneten noch lange keine Grenzen gesetzt. Volksentscheide sind auch keineswegs etwas, was nur in Gemeinden und Regionen sinnvoll wäre. Bei grundlegenden Richtungsänderungen der Politik ist das Plebiszit die angemessene Form. Die gängigen Argumente dagegen halten keiner ernsthaften Debatte stand. (Das Amt des Bundespräsidenten braucht keine Direktwahl, nur seine direkte Abschaffung. Es leben nicht mehr so viele, die über den Verlust des Kaisers getröstet werden müssten.)
Zum Schluss ein Blick auf ein aktuelles Ereignis der Parteienwelt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, die NPD nicht zu verbieten, weil sie zwar verfassungsfeindlich sei, aber politisch kein Gewicht hätte, denken die Parteien nun laut darüber nach, wie sie der NPD die staatliche Finanzierung (aus Steuermitteln übrigens) entziehen könnten. Ich habe da einen praktischen Vorschlag: durch die Streichung der staatlichen Finanzierung der Parteien insgesamt.
Fußnote: Durch die massive Erhöhung der personellen und finanziellen Ausstattung der Abgeordenten und der Fraktionen sind die Mitgliederparteien längst Fraktionsparteien geworden, bei der alle Macht – einschließlich der Kandidatenauswahl – de facto bei einer Handvoll Personen in jeder Fraktionsspitze liegt. Es wird also nicht reichen, nur die Parteienfinanzierung im engeren Sinn abzuschaffen.