Tichys Einblick
Warum der Westen die Mauer brauchte

Durch den Systemwettbewerb der politischen Kultur bestand der Freie Westen

Mit dem Fall der Mauer als Folge der Implosion der Sowjetunion fiel auch der Werte-Wettbewerb des Westens gegen den Osten weg: Freiheit oder Sozialismus degenerierte zu ein wenig Freiheit im Fast-Sozialismus.

IMAGO / ZUMA Press Wire

Der Beginn des Baus der Mauer am 13. August 1961 in Berlin und entlang der gesamten DDR-Grenze ist längst aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden. Das fing schon in der Bonner Republik an, weil die große Mehrheit mit dem Genuss von Wohlstand und Freiheit nicht nur beschäftigt, sondern auch stolz und zufrieden mit der nahezu heilen Welt der Deutschen Mark war, vor allem ihrer Kaufkraft. Die Bundesrepublik war beim bewunderten US-Facharbeiter angekommen, der sich Häuschen und Cadillac oder zumindest einen Ford leisten konnte.

Der Osten hing hintendran, klemmte sich dann ab und wurde weitgehend vergessen hinter seiner Mauer. Gelegentlich führte man in West-Berlin Besucher auf eine Tribüne an der Bernauerstraße, und mit einem gewissen Schaudern konnte man einen Blick erhaschen in den Menschen-Zoo der vom historischen Schicksal weniger beglückten. Für den Westen war die Mauer zunächst lästig, weil die Ost-West-Wirtschaftsverbindungen abgetrennt waren und in Nord-Süd-Richtung umgebaut werden mussten. Aber die Mauer war auch Stachel im Fleisch des Westens: Er musste sich im System-Wettbewerb der politischen Kultur beweisen. Der Westen musste demokratischer, sozialer, fairer, gerechter, kurz die bessere Welt sein. Die Mauer war eine ständige Mahnung, wie man eben nicht sein wollte.

Ein wenig Freiheit und viel Sozialismus

Mit dem Fall der Mauer als Folge der Implosion der Sowjetunion fiel auch der Werte-Wettbewerb des Westens gegen den Osten weg: Freiheit oder Sozialismus, der Kampfruf, den Heiner Geißler formuliert hatte, degenerierte zu ein wenig Freiheit im Fast-Sozialismus. Mit der Berliner Republik fielen die wahren Gründe der Bonner Republik für die Marktwirtschaft weg: Die USA, die im Kalten Krieg Ludwig Erhard beauftragten, die Bundesrepublik mit der Marktwirtschaft fit zu machen als ihren Europa-Pfeiler gegen die Sowjetunion. Ohne die Amerikaner hinter Erhard wäre die Bundesrepublik ein sozialistischer Staat geworden im Wettbewerb mit der sozialistischen DDR, und das ganz ohne Bundeswehr. Die Bundeswehr war der Preis dafür, weil die USA jeden Soldaten umso mehr brauchte, nachdem die französische Nationalversammlung die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) als westeuropäische Armee abgelehnt hatte. Besonders kraftvoll war sie übrigens nie. Die Nato mit ihrer „Vorneverteidigung“ sollte ja nur der Stolperdraht sein, der die russischen Panzerspitzen im Fulda-Gap zeitlich solange aufzuhalten hatte, bis die US-Militärmacht selbst ihre volle Breitseite entfalten konnte.

Der frisch angepinselte Wettbewerbs-Sozialismus Chinas und der modernisierte Putin-Kapitalismus Russlands samt der Sozialismus-Karikatur Nord-Korea stehen nun im Wettbewerb mit dem Woken-Sozialismus des Westens: Staatsparteien-Monopol-Kapitalismus gegen Globalen-Konzerne-Kapitalismus. Untertanen-Überwachung Ost gegen Untertanen-Gängelung West. Meinungslenkung durch Staats-Medien Ost gegen Volkserziehung durch Medien-Lenkung West.

Staatsparteien-Monopol-Kapitalismus versus Globalen-Konzerne-Kapitalismus

Meinungsfreiheit, nur so weit sie von den Herrschenden hingenommen werden will und kaum noch Wirkung gegen Staats- und staatsnahe Massenmedien entfaltet. Wird es eng für die Regierungen wie derzeit in Großbritannien oder während Corona überall, drohen Gefängnis, Ausgrenzung und soziale Vernichtung. Spürbar werden die Grenzen enger gezogen und die Marktwirtschaft wird ganz offiziell zu einer staatlich gelenkten Beamten-Planwirtschaft, die notfalls und immer öfter die Konzerngewinne durch Subventionen aufpäppelt.

Für Freiheit und Recht der Einzelnen setzen sich im Osten wie Westen nur Dissidenten ein, die da wie dort eingeschüchtert oder verfolgt werden. Die schweigenden Systemverweigerer werden überall immer mehr. Die Konvergenz der Systeme ist unübersehbar. Die Ostdeutschen spüren das mit wachem, historischen Verstand und Gefühl. Das erklärt ihr von der gewollten Norm abweichendes Wahlverhalten. Und dafür müssen sie notfalls damit rechnen, als Kolonien ferngesteuert zu werden – selbst Forderungen werden laut, sie einfach zu verstoßen.

Nach dem Fall der Mauer kam nicht das Ende der Geschichte (Fukuyama) und siegte nicht die Freiheit, sondern die Konkurrenz um die perfektere Herrschaft über die Massen begann. Gekrönt in Deutschland von der wundersamen Verwandlung rotgrüner Friedensbotschafter in rotgrüne Transatlantiker, die nun im Dienste des Globalen-Konzerne-Kapitalismus mit dem rotgrünen Medien-Kartell den woken Parteienstaat anführen, egal, wie sie bei Wahlen abschneiden.

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