Tichys Einblick
Von Rom bis Stockholm und Paris bis Warschau

Manche Herrschende arbeiten europaweit hart für ihr Scheitern

Emmanuel Macron ist nach dem kurzen Frühling seiner Politik direkt im Spätherbst gelandet. Dort findet er sich bei Angela Merkel und den anderen Anhängern einer ever closer union wieder. Sie treffen zusammen den schwedischen MP Kjell Stefan Löfven und Spaniens MP Pedro Sánchez.

GEERT VANDEN WIJNGAERT/AFP/Getty Images

Leserkommentare sind eine Fundgrube. Der folgende verbildlicht die Lage höchst präzise, in die sich noch öffentlich Tonangebende in Haupstädten der EU ganz und gar alleine manövriert haben (Einfügung in Klammern von mir):

„Der Merkelblock versucht verzweifelt, den Deckel auf dem Kochtopf zu halten und kapiert nicht einmal, dass deshalb das Wasser (nur noch) schneller kocht. Bald wird ihnen ihr Süppchen samt Deckel und Topf um die Ohren fliegen.“

Die Debatte wird unter dem Namen Chemnitz in die Geschichtsbücher eingehen. Nicht so sehr wegen des dortigen Geschehens Ende August, sondern wegen des anschließenden Umgangs der Herrschenden in Politik und Medien, Staat und Gesellschaft damit. Dieser Umgang ist mit dem Bild des verzweifelten Versuchs, „den Deckel auf dem Kochtopf zu halten“ perfekt beschrieben. Der Merkelsatz dokumentiert ihn (Hervorhebung von mir):

„Meine Reaktion ist, dass wir dort Bilder gesehen haben, die sehr klar Hass und damit auch Verfolgung von unschuldigen Menschen deutlich gemacht haben. Von denen muss man sich distanzieren, das hat Herr Seibert gemacht, das tue ich, das habe ich auch schon getan, und damit ist alles gesagt.

Dieses Merkel’sche Basta ist die typische Reaktion von in die Ecke Gedrängten. Sie findet sich in ähnlicher Weise bei allen öffentlichen Sprechern der (schwarz)-rot-grün-rot-(gelben) Eine-Meinungs-Gruppierung, der eine korrespondierende Medien-Landschaft bisher jederzeit das Wort erteilt. Doch innerhalb beider Strukturen bröckelt es. Vereinzelt ertönen gegenläufige Stimmen, werden wieder zum Verstummen gebracht und tauchen doch wieder auf. Jeder Aufmerksame kann das nahezu täglich beobachten.

Morgen wählen die Schweden. BILD schreibt über die Oberfläche. Nach aktuellen Umfragen wollten 19,1 Prozent den „Schwedendemokraten“ ihre Stimme geben: 6,2 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Reichstagswahl 2014 (12,9 Prozent), eine Vervierfachung seit 2010 (5,7 %). Der schwedischen Dauerregierungspartei der Sozialdemokraten werden 24,9 Prozent vorhergesagt, das wäre 6 Prozent weniger als 2014. Ihrem grünen Koalitionspartner gibt die Demoskopie 5 Prozent, fast 2 weniger als das letzte mal, während sich die Linke Partei auf 10 Prozent verdoppeln soll. Die restlichen Ziffern: Moderate Partei 17,7; Centrumspartei 8,6;  Christdemokraten 6,5.

Was das auch immer für die Regierungsbildung in Schweden bedeutet, die Schwedendemokraten werden jeden zukünftigen Regierungskurs beeinflussen, auch wenn erst einmal eine Sammelkoalition gegen sie gebildet wird. Vor der Wahl sind auch Experten ratlos, wie die schwedische Politologin Jenny Madestamm zum Ausdruck bringt: „Einige bürgerliche Parteien würden nie mit Rot-Grün zusammenarbeiten. Aber es ist nicht auszuschließen, dass dennoch eine Regierung über Blockgrenzen hinweg gebildet wird, wenn es schwer wird, eine Mehrheit im Parlament zu finden. Doch das Ergebnis ist diesmal wirklich fast unmöglich vorherzusagen.“

Die Parallele zu Deutschland ist unübersehbar, in Italien koalieren mit Lega und Cinque Stelle die Gegner der alten Parteien – das ist auch wesentliches Motiv und Bindeglied der zwei höchst verschiedenen. In Österreich hat es der zufällig auftretende, für Geschichte und Tradition der ÖVP völlig untypische Sebastian Kurz fertiggebracht, den Traditionskompanien und ihren Anführern seinen Willen aufzuzwingen. Der FPÖ bietet er die Chance, den diese bisher nutzt, ihr politisch problematisches Erbe zu verringern. Doch auch in der SPÖ pirscht sich mit Hans Peter Doskozil, dem jetzt neuen Landesvorsitzenden im östlichsten Bundesland Burgenland, der dort auch Landeshauptmann (Ministerpräsident) wird, ein gut möglicher Bundesobmann heran, den ich für Kurz-kompatibel halte und für einen Mann, der die SPÖ verändert.

In Deutschland bietet die BILD am SONNTAG ihren Lesern diese Kost:

Ich habe es hier schon oft geschrieben, ein oder zwei Prozentpunkte demoskopisch rauf oder runter sind seriös nicht interpretierbar. Aber darauf kommt es allen Medien bei ihrer Instrumentalisierung von Umfragergebnissen nicht an. Sie geben diese ja nur in Auftrag und zahlen dafür, um die Schlagzeilen zu unterfüttern, um die es ihnen geht – Demoskopie hin oder her.

Die BamS bestätigt mit ihrer Spitzennachricht den beschriebenen Trend, der eben ein europaweiter ist – wie auch bei den Zahlen für das fiktive Deutschostland bei Infratest Dimap (für ARD und WELT): AfD 27 Prozent, Union 23 Prozent, Linke 18, SPD 15, Grüne 7 und FDP 6.

Ein Blick nach Frankreich

Emmanuel Macron ist nun mit 31 Prozent knapp unterhalb des demoskopischen Zustimmungstiefpunktes angelangt, in der sich sein Vorgänger François Hollande mit 32 Prozent im September 2013 befand.

Die aktuellen Zahlen von Ifop-Fiducial zeigen, dass seine noch beste Ziffer mit 54 Prozent jene sind, die meinen, Macron würde Frankreichs Interessen im Ausland vertreten. Nur 47 Prozent finden, er habe die Rolle des Präsidenten belebt. 53 Prozent bezweifeln stark und 65 zumindest teilweise, dass er eine klare Vorstellung von Frankreichs Zukunft hat.

Die negativsten Einschätzungen sehen Macron als Präsidenten der Reichen. Eine überwältigende Mehrheit von 78 Prozent verneint, dass Macron sich mit den Sorgen der Franzosen befasst und 58 Prozent bezweifeln die Qualität seiner Wirtschaftspolitik.

Solche negativen Nachrichten über Macron sind in deutschen Medien nicht oder kaum zu finden. Warum? Weil es nicht zum Narrativ der Achse Berlin-Paris passt, von der jeder, der will, wissen kann, dass es sie nicht mehr gibt und dass, solange es sie gab, Paris seine Interessen durchgesetzt hat, nicht Berlin.

Emmanuel Macron ist nach dem kurzen Frühling seiner Politik direkt im Spätherbst gelandet. Dort findet er sich bei Angela Merkel und den anderen Anhängern einer ever closer union wieder. Dort treffen beide den schwedischen Ministerpräsidenten Kjell Stefan Löfven und auch den ohne Wahlen ins Amt gekommenen Premier Spaniens Pedro Sánchez Pérez-Castejón, dessen Tage gezählt sind, selbst wenn er seine Politik in Sachen Einwanderung radikal ändern sollte.

Nach Bayern wählt Hessen. Nach dem neuesten demoskopischen Pegelstand sieht es dort aus wie folgt.

Frau Merkel stört das nicht. In Bayern wird ihre Lieblingskonstellation Schwarzgrün möglich, in Hessen verliert Schwarzgrün zwar wahrscheinlich die Mehrheit, aber die lässt sich mit wem auch immer auffüllen oder durch eine schwarzrote Koalition unter grüner Führung fortsetzen. Manche meinen, Merkel habe bis heute nicht verstanden, dass die Zeit abläuft, in der sie ihre Regentschaft mit wem auch immer fortsetzen kann. Ich meine, das ist ihr einfach egal. Was sie wohl wirklich nicht erkennt, ist, dass sie am Ende den Zeitgeist der zentralistischen EU als letzte vertreten könnte, wenn dieser überall sonst schon abgetreten ist. Wie war das noch mal mit der verspäteten Nation?

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