Tichys Einblick
Eurasien ist keine Alternative

Macht kennt kein Recht, der Rest ist Propaganda

Das Bild der sozialistischen deutschen Verteidigungsministerin als Beisitzer in Ramstein spricht ebenso wie das des sozialistischen UN-Generalsekretärs am Ende des langen Tisches bei Putin in Moskau mehr als die berühmten tausend Worte.

Kleingarten in der Schwäbischen Alb mit Deutschland-Fähnchen

IMAGO / Arnulf Hettrich

Deutschland als Weltkind in der Mitten, friedlich und freundschaftlich mit Russland zusammen und all den anderen in Europa, die sich gemeinsam vom Kampf zwischen USA und China um die Rolle der Führungsmacht der Welt fernhalten: Die Leute, die das träumen, sind großteils von denen nicht zu trennen, die sich ein Europa von Wladiwostok bis Lissabon wünschen, das den USA und China gleichgewichtig als dritte Weltmacht gegenübertreten kann. Russlands Interimspräsident Dmitri Medwedew, nunmehr Leiter des russischen Sicherheitsrates in Diensten Putins, hat das auf Telegram in eine Formel gebracht, die sich selbst erklärt: “Der Zusammenbruch der Ukraine könnte den Weg für ein offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok” bereiten.

Ein „Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok” wäre ein russisches, kein „offenes“. Dazu wird es natürlich schon deshalb nicht kommen, weil das weder die USA noch China zulassen könnten, ohne sich selbst aufzugeben. Ich erwähne dieses Eurasien nur in der Hoffnung, dass dies den einen oder anderen Zeitgenossen von seinen Träumen von Deutschland und Europa befreit. Dieses Eurasien wäre die Vergrößerung des russischen Kolonialreiches namens Russische Föderation um den nicht-russischen Rest von Europa. Nachgerade belustigend ist es, wenn die Gegner der „Ever Closer Union“ EU in Brüssel diese gegen eine Wladiwostok-Lissabon-Eurasien-Föderation in Moskau tauschen würden.

Deutschland ist ein ökonomischer Scheinriese, der nicht erst seit der sogenannten Wiedervereinigung, aber seit ihr beschleunigt von der Wohlstandsgesellschaft Nummer Eins in die hinteren Ränge absteigt – wirtschaftlich, sozial, wissenschaftlich und kulturell. Es lebt sich für die Mehrzahl ihrer Einwohner mittlerweile in anderen Ländern Europas weit besser als im Land der ehemaligen D-Mark. Die Frage, wann in Europa und der Welt niemand mehr Deutschland in den Sinn kommt, wenn es um wichtige Dinge geht, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Wer das bisher nicht wahrnahm, müsste es gestern gesehen haben, als die USA in ihrem Stützpunkt Ramstein Militärs und Politiker aus rund 40 Staaten versammelten, um das weitere Vorgehen des Westens in Sachen Ukraine zu koordinieren. Das Rom unserer Tage, Washington also, zitierte die Statthalter seiner Provinzen zur Befehlsausgabe. Dagegen habe ich in der Sache nichts einzuwenden, denn außer Washington ist trotz des Niedergangs der Classe Politique der USA ja niemand da, der eine Antwort auf Putins Feldzug in der Ukraine und darüber hinaus hätte. Moskau und Peking sind keine Alternativen für Freunde der Freiheit, weil es nur in etlichen US-Bundesstaaten wenigstens noch so viel Freiheit durch Recht gibt, dass daraus mehr werden kann.

Eine Illusion aber müssen sich halbwegs Sehende endgültig abschminken. „Europa“ gibt es nicht. Wenn es darauf ankommt wie jetzt in der Ukraine, handelt Washington mit Hilfe jener Staaten in Europa, auf deren Regierungen und Armeen es zählen kann: Deutschland gehört nicht dazu.

Wenn ich von Befehlsausgabe in Ramstein spreche, werden etliche reagieren, haben wir es nicht schon immer gesagt, Deutschland ist nicht souverän. Um diese Frage geht es mir schon deshalb nicht, weil sie ebenso wie die Worte Völkerrecht, Internationaler Gerichtshof, Kriegsverbrechen, Menschenrechte und so weiter für die wirkliche Welt irrelevant sind, denn: Macht kennt kein Recht, der Rest ist Propaganda.

Das Bild der sozialistischen deutschen Verteidigungsministerin als Beisitzer in Ramstein spricht ebenso wie das des sozialistischen UN-Generalsekretärs am Ende des langen Tisches bei Putin in Moskau mehr als die berühmten tausend Worte. Wer sich da wie dort hinsetzt, vollzieht den Kotau des Ohnmächtigen vor dem Mächtigen. All diese Figuren, die sich von Putin auf solcher Tischdistanz einlassen, setzen damit selbst ins Bild, was sie sind, das, was Stalin zum Papst rhetorisch fragte: Wie viele Divisionen hat er? Oder einfacher: ohne Bedeutung.

Wer die Macht hat und seine militärische Macht einsetzt, fragt vorher keine UN, keine EU und schon gar keine deutsche Regierung, ob er das darf. Er tut es, weil er es kann. Dass er sich dabei irren kann – wie Putin gerade -, gehört zur wirklichen Welt dazu. In dieser Auseinandersetzung ist es wie bei allen, welche Seite die gute sein soll und die böse, ist irrelevant – beide wollen ihre Interessen durchsetzen, in der Ukraine nicht nur mit Worten und offenem wie verstecktem Druck wie sonst meist, sondern mit militärischer Gewalt. Und Staaten haben selbstverständlich keine anderen Staaten als Freunde, ihre Regierungen vertreten noch nicht einmal die Interessen ihrer Bürger, sondern die der Classe Politique.

Wer es vorher nicht wusste oder wissen wollte, sollte es jetzt realisieren: Macht kennt kein Recht, der Rest ist Propaganda.

Und Deutschland? Da kommt mir Friedrich Schiller in den Sinn:

„Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.“

Zurück auf Beginn und neu anfangen, im Inneren, nicht draußen, wo euch sowieso niemand haben will außer beim Zahlen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen