Worin liegt der Erfolg von Marken? In der Unsicherheit der Konsumenten. Weil sie sich selbst das Urteil über die Qualität eines Produktes nicht zutrauen, orientieren sie sich am Ruf von Marken. Beim Urteil über diesen Ruf – wer merkt was? – und nicht mehr über das Produkt spielen Werbung und Medien (die Grenzen zu PR fließend) ihre Rolle, vor allem aber die Meinung des persönlichen Umfeldes. Auf Vergleichsportale verlassen sich nur Unkritische, am meisten glauben die Leute ihren Mit-Leuten. Bestimmte Marken sind „in“ und ganz plötzlich „out“. Erstaunlich Wenige interessieren sich dann für das Warum, sondern folgen ihrer sozialen Peergroup in den neuen Hype. Genau so primitiv wie dieser Wettbewerb im Verbrauchermarkt von Produkten und Dienstleistungen funktioniert weithin der Wettbewerb im Verbrauchermarkt Politik.
Wer die Begriffe setzt, herrscht
Das Wörterbuch der politischen Öffentlichkeit hantiert von der Wissenschaft und der politischen Bildung über die Parteipolitik bis zu Publizistik und Medien mit Begriffen, deren Bedeutung nur eine winzige Minderheit kritisch hinterfragt. Ich spreche von der semantischen Tonleiter, nach der alle singen. Die Haupttonarten sind links, rechts und Mitte. Sie werden nur selten pur eingesetzt, sondern meist mit Halbtönen versehen, die dem Grundton hinzugefügt werden: radikal, populistisch, extrem und extremistisch. So entsteht die aufsteigende Tonfolge: rechtsradikal, rechtspopulistisch, rechtsextrem und rechtsextremistisch. Das Gleiche mit dem Grundton links kommt in unseren Tagen so selten zum Einsatz, dass radikal, populistisch, extrem und extremistisch mit und ohne den Halbton rechts fast dasselbe bedeutet.
Die Marke Apple zu nennen, erübrigt jede Produktbeschreibung oder Analyse, jeder weiß, was gemeint ist, jedenfalls glauben er und sie das. Wo alle in deiner Community ein iPhone haben, musst du schon fast rebellisch veranlagt sein, wenn du ein Samsung wagst. Nicht anders als mit solchem Produkt-Bekenntnis ist es mit den Meinungs-Bekenntnissen der meisten auch. Sie „bekennen“ sich weniger zu einer Meinung (Produkt) als zur Zugehörigkeit zu den „Richtigen“ (Ruf). Der gängige Ruf zieht, nicht Inhalt und Qualität der Meinung.
Signalworte führen irre
In Facebook kannst du einen langen Beitrag posten, der in den ersten 10 Notenzeilen auf der „rechten“ Tonleiter spielt. Es werden dich haufenweise Leute „liken“ und zu deiner „linken“ Tonfolge ab Zeile 11 gar nicht vorstoßen. Weil sie dich und deinen Beitrag nach den ersten Signal-Worten einstufen. Wer hinschaut, kann das „Bekenntnis“-Liken im viertelstündlichen Schweinsgalopp beobachten, wo nicht wenige Einträge ihrer Favoriten blind liken und teilen – ohne einen einzigen Blick auf den Inhalt geworfen zu haben: ihr Tempo verrät sie.
Ein neuer Aphorismus von Heimito Nollé lautet: „Er hatte sein geistiges Obdach verloren, fand aber vorübergehend Asyl in den Sozialen Netzwerken. Dort wurde ihm zur notdürftigen Lebenserhaltung täglich ein Tellerchen Gesinnungssuppe serviert.“
Meine tägliche Beobachtung zeigt mir: In den (sozialen) Medien ist vielen das Wörterbuch des Unmenschen geläufiger als der Duden. Das ginge nicht so einfach, wären die Herrschaftsverhältnisse auf dem Schlachtfeld der politischen Marken-Begriffe nicht so betoniert.
Was Links, Rechts und Mitte einmal bedeutet haben, heute bedeuten (können), Leute, Hand aufs Herz, habt ihr euch damit schon jemals ernsthaft befasst?
Hauptschüler und Berufsschüler, Gymnasiasten und Gesamtschüler, Studenten der Politik- und Sozialwissenschaften, Historiker, Ökonomen, Theologen und so weiter: Welche Aufmerksamkeit haben eure Lehrer dieser simplen Grundfrage gewidmet?
In einer X-beliebigen Runde von 10 werden wir allerhöchstens eine fundierte Antwort bekommen. Du lernst es auch nicht in einer Partei, politischen, Gewerkschafts- und Unternehmer-Akademie. Solche Einrichtungen suchen die meisten auf, weil sie sich zu ihnen „bekennen“ – und seit jeher die genannten Signalworte und weitere benutzen, ohne zu merken, dass über ihre Bedeutung gar keine Übereinstimmung besteht.
Keine gemeinsame Sprache
In der Massen(Medien)Demokratie entscheiden die Lordsiegelbewahrer und Mandarine in der verbotenen Stadt des institutionalisierten Öffentlichen darüber, was links und rechts und Mitte ist, ganz alleine. Sie haben das Deutungsmonopol. So lange wir den offenen Diskurs über die Grundbegriffe des Öffentlichen nicht beginnen, werden die innig verfeindeten Lager auch weiterhin keine gemeinsame Sprache sprechen.
Damit der Diskurs nicht langweilig wird, werfe ich mal eine These in die virtuelle Runde, die Theo Schiller in jener fernen Zeit formuliert hat, als wir noch beide „Jungdemokraten“ waren – und die mir immer besser gefällt: „Die mitteste Mitte ist der nullste Nullpunkt.“
Dazu passt meine eigene These: Liberalismus als die Idee der Freiheit und Sozialismus als die Idee der Gleichheit liegen im „ewigen“ Widerstreit. Konservati(vi)smus drückt nur aus, welchen aktuellen Mix von Freiheit und Gleichheit die Gegenwarts-Gesellschaft akzeptiert; was zugleich heißt, dass er möglichst nicht geändert werden sollte.