Tichys Einblick
Teil 3: Ferguson im NZZ-Interview

Konservative sind Pessimisten

Die Liberalen und Konservativen gewannen den Kalten Krieg und bestimmten die Wirtschaftsordnung, die Sozialisten gewannen aber die kulturelle Hegemonie an den Universitäten und in den Medien.

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Mit der Antwort von Niall Ferguson auf die Frage von René Scheu, ob er sich selbst als Konservativen sähe, schloss Teil 2 zum Gespräch der beiden in der NZZ. Seine „linken akademischen Kollegen” hätten „es sich zur Angewohnheit gemacht”, ihm „dieses Prädikat anzuhängen.” Gemessen an ihnen sei er „zweifellos konservativ”:

„Aber ich fürchte, ich bin kein Konservativer im eigentlichen Sinne. Vielmehr bin ich ein klassischer Liberaler, ein Kind der schottischen Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts.”

Kurz vorher hatte Scheu gefragt:

„Die Liberalen und Konservativen gewannen also den Kalten Krieg und bestimmten die Wirtschaftsordnung, die Sozialisten gewannen aber die kulturelle Hegemonie an den Universitäten und in den Medien. Ist das, maximal zugespitzt, Ihre These?”

Und Ferguson hatte geantwortet:

„Das ist sie, kurz und knapp zusammengefasst. Ich stelle sie hiermit zur Debatte, und man möge mit Argumenten darauf entgegnen …”

Diese Argumente kommen von den Sozialisten im weitesten Sinne aber nicht, weil sie es als kulturelle Hegemonen an den Universitäten und in den Medien nicht nötig haben zu argumentieren, denn, so Ferguson:

„Als Rechter bist du ein potenzieller Nazi. Sozialisten und Kommunisten hingegen sind moralisch einwandfreie Sozialdemokraten, die auf ihrem Weg zur Beglückung der Menschheit bloss ein paar folgenschwere Fehler begangen haben.”

Was „das Charakteristikum im Denken eines Konservativen” will Scheu von Ferguson wissen. Er denke „erst einmal in größeren Zeiträumen”, sagt Ferguson. Er zöge Institutionen, „die sich bewährt haben, auch wenn wir sie vielleicht nie ganz verstehen,” jenen Institutio”nen vor, ‚„die der menschliche Geist sozusagen am Reissbrett entwirft.”:

„Der Konservative ist skeptisch gegenüber revolutionären Projekten, die aufgrund einer Theorie eine utopische Ordnung schaffen wollen, weil jede Revolution unbeabsichtigte Nebenwirkungen hat. Edmund Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution sind in dieser Hinsicht die vielleicht grossartigste Darstellung dieser konservativen Sicht.”

Teil 2: Irreführer Antifaschismus
Niall Ferguson und die Totalitarismen
Edmund Burke goss seine Betrachtungen über die Französische Revolution in die Form eines Briefes an einen Freund. Das nahm Ralf Dahrendorf, der zu dieser Zeit „Warden of St. Antonys College” in Oxford war, zum Vorbild für seinen „Brief an einen polnischen Freund in Zeiten des Umbruchs und Neuanfangs” als Buch mit dem Titel: Betrachtungen über die Revolution in Europa. Dieses Buch und ein 1985 erschienenes – „Law and Order” (The Hamlyn Lectures) – zeigen, wie sehr sich Dahrendorf nicht nur in seinen späteren Jahren auf den Weg von Habermas zu Ferguson gemacht hat; allein der Titel eines Kapitels in Law and Order, „Seeking Rousseau, Finding Hobbes” spricht für sich.

Was ich damit sagen will, ist einfach, dass die  Selbstverortung von Ferguson als „Kind der schottischen Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts” wahrscheinlich der beste Neuausgang zur Selbstvergewisserung der alten und neuen Freunde der Freiheit ist.

René Scheu stellt hier die wichtige Frage: „Aber ist der Konservative im Herzen nicht ebenfalls ein Kollektivist, genauso wie die Sozialisten?”

Niall Ferguson erwidert: „… Die Individualrechte – inklusive Eigentumsrechten – sind für den Konservativen die natürliche Grundlage einer freien Gesellschaft. Er setzt auf die sozialen Institutionen der Familie, der Kirche und der lokalen Gemeinschaft, um das menschliche Zusammenleben zu regeln, also auf dezentrale zivilgesellschaftliche Lösungen statt auf zentralplanerische staatliche Aktivitäten.”

Das ließe sich auch komplizierter ausdrücken und länger. Gut, dass Ferguson als Historiker diese Eigenschaft der Soziologen und Politologen nicht eigen ist. Seine schlichte Antwort sitzt.

Zum Ende des Interviews kommt Ferguson Dahrendorf ganz nah in einer Eigenschaft, die beide mehr als Konservative kennzeichnet denn als Kinder der schottischen Aufklärung.

Scheu fragt:

„Identitäts- und Diversitätspolitik verstrickt sich immer stärker in Widersprüche – und es bilden sich innerhalb ihrer Vertreter sichtbare Fronten. Immer mehr asiatische Studenten klagen beispielsweise gegen amerikanische Universitäten, weil sie sich – aufgrund positiver Diskriminierung anderer Minderheiten – in der Zulassung diskriminiert fühlen. Ändert sich gerade etwas?”

Und Ferguson antwortet, er mache sich keine Hoffnung auf einen schnellen Wandel:

„Widersprüche einer Ordnung führen nicht zu deren Kollaps – das war ja der grosse Irrtum der Marxisten, die bis heute glauben, der Kapitalismus würde an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen. Darum: Nein, die Revolution hat nicht damit begonnen, ihre Kinder zu fressen – das ist reines Wunschdenken.”

Und da ist Ferguson, was Dahrendorf wohl von Anfang an auch war: konservativ. Konservative sind Pessimisten. Oft sehr kluge. Aber eben Pessimisten. Zur Aktion nicht willens.

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