Im November letzten Jahres beendete ich einen Artikel über „Politische gewollte Staatsverwahrlosung“ mit diesem Absatz:
„Die politische Konstellation, die unter dem Stichwort Jamaika zu befürchten ist, wäre die perfekte Kulisse für diesen Zustand der politisch gewollten Staatsverwahrlosung. Noch mehr als bisher würde sich jeder auf jeden rausreden. Fällt das eigentlich niemandem auf? Der Jamaikaparteien einzige Funktion wäre, die Kanzlerin vor dem Parlament zu schützen.“
Nun, fünf Monate später, ist klar, dass es Jamaika dafür gar nicht brauchte, denn nun schützen im Parlament alle Fraktionsparteien, die schon länger dort wohnen, die Kanzlerin vor der AfD, die jetzt halt da ist. Außerhalb des Parlaments schützen die Medien, die schon länger da sind, die Kanzlerin und ihre loyale Opposition gegen die Medien, die halt dazu gekommen sind. Der Kanzlerin ist egal, ob sie schuld an diesem so breiten Zustrom der sie Schützenden ist, jetzt sind sie halt da.
Ob die Kanzlerin weiß, dass ihr überbreiter Schutzgürtel überfüllt von Personen ist, die im Moment ihres Abtritts über sie herfallen, sie in der Luft zerreißen und für alles verantwortlich machen werden, was in Deutschland und EU je schief gelaufen ist, falsch gemacht wurde oder gar nicht angepackt, kann unsereinem egal sein. Wichtig zu wissen ist es nur, weil sonst vieles oder alles, was in der Restlaufzeit der Kanzlerin geschehen oder überwiegend nicht geschehen wird, unverständlich oder schwer erklärbar bliebe.
Hier und da blitzt in den Medien, die schon länger da sind, punktuelle Kritik an der Kanzlerin auf, die ahnen lässt, was da kommt, wenn der Wettbewerb der Medien und Journalisten losbricht, die Kanzlerin, die sie so lange bedingungslos unterstützt haben, nun ebenso gnadenlos fallen zu lassen.
Eine Passage des Berichts von STERN online über die Regierungserklärung werden die meisten überlesen und doch ist sie für mich die interessante:
„Auf der Regierungsbank sitzt CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer neben Scholz, dem neuen Finanzminister. Beide verschränken während Merkels Rede unisono die Arme, stützen den Kopf auf die Hand. Das sind Körperhaltungen, die für Abwehr und Skepsis stehen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und der neben ihm sitzende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) tuscheln miteinander.“
„Abwehr und Skepsis“ ist die Vorstufe von Ablehnung und Widerstand. Zwischen diesen Polen verläuft die politische Kommunikation hinter den Kulissen und in allen Teilen der Gesellschaft. Nach außen steht die Front der im Internet mit der DDR-Vokabel als Blockparteien Verunglimpften. Innerhalb derselben, und da stimmt das Blockparteien-Bild historisch, rumort es mächtig. In welcher Formation auch immer ich mit denen rede, die dazu jeden Tag bereiter sind, keiner will mehr über das reden, was während der Amtszeit der Kanzlerin noch geschieht, alle drängt es, über ihre Vorstellungen für danach zu sprechen. Alles bereitet sich auf die Zeit nach der Kanzlerin vor – im ganzen Bogen von der CSU bis zur Partei Die Linke.
Nach außen – und auch nur körpersprachlich – Abwehr und Skepsis, drinnen nicht nur Ablehnung und Widerstand, sondern wachsende Ungeduld auf den Abtritt: mit scharrenden Hufen Warten auf K-Day, ein Kürzel aus der CDU selbst.