Tichys Einblick
Funktionärsprodukt

Jamaika ist kein Projekt

Nach dieser Wahl braucht das Land alles andere als eine Spalter-Regierung. Aber vielleicht kriegen wir sie, damit ihr vorzeitiges Platzen Frischluft in das gelähmte und eingeschläferte Volk bringt. Machen wir uns auf alles gefasst, vorerst auf nichts Gutes.

Im Presseclub bei Jörg Schönenborn sprach am letzten Sonntag Dieter Wonka, Chefkorrespondent RedaktionsNetzwerk Deutschland, einige denkwürdige Sätze. Ich gebe sie aus der Erinnerung wieder:

In seiner Kolumne schreibt Jakob Augstein heute, am 3. Oktober, an diese Wahl würden wir noch lange denken:

«Sie hat ein zerrissenes Land enthüllt. Ost und West, reich und arm – Deutschland zerfällt. Es gehört zu den Aufgaben einer Regierung, das Trennende zu überwinden. Aber die Koalition, die sich unter dem unsinnigen Namen „Jamaika“ zusammenfinden will, wird eine Regierung der Spaltung sein. Das Bündnis aus CDU, Grünen und FDP steht für die Selbstabschottung des westdeutschen Wohlfühlbürgertums. Der Rest soll sehen, wo er bleibt.

Machen wir uns nichts vor: Auch die sogenannten Liberalen wissen, wie man den „Anderen“ ausgrenzt. Wenn der „Stern“ frohlockt, es „könnte sich tatsächlich in Jamaika das aufgeklärte, liberale, leistungsbereite Bürgertum zusammenfinden“ – dann bedeutet das gleichzeitig, dass all die anderen engstirnige, faule Hinterwäldler sind.»

TE-Autor Andreas B. fand heute unter anderem diese Worte:

«Mit der von ihnen kolportierten politischen Kultur, die sich in den USA unter Obama und in Deutschland unter Merkel zur vollen Kraft entfalten konnte, haben die Eliten jahrelang Schwerstarbeit geleistet, deren Erfolge sich sehen lassen können: Sie haben systematisch das zerstört, was unter dem Begriff des „sozialen Kapitals“ einer Gesellschaft zusammengefasst wird.»

Wonka und Augstein bringen es aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln an der entscheidenden Stelle auf den Punkt: Jamaika wäre eine Spalter-Regierung in jeder Hinsicht. In allen entscheidenden Zukunftsfragen der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Möglichkeit der Übereinstimmung zwischen CDU, FDP, CSU und Grünen. Darüber können keine Formelkompromisse hinwegtäuschen.

Jamaika kann neben den vielen Posten, die zu vergeben sind, nur eines leisten: eine Ermächtigung für Angela Merkel, die Dinge weiter treiben zu lassen wie bisher und das mithilfe der Meinungsführer-Medien (Fachbegriff der Medienanalyse) weiterhin als Führung zu verkleiden. Auf Sicht fahren ist kein Kurs.

Wonka sagt zu recht, eine Sturzgeburt ist kein Projekt. Insofern wäre Jamaika echt Merkel, denn dann wäre es halt da. Ebenso richtig konstatiert Wonka, Jamaika wäre eine fremde Regierung, er denkt dabei stark aus dem Osten, aber es stimmt für ganz Deutschland. Wer die Programme der Jamaika-Parteien als Mitglied oder Anhänger halbwegs ernst nimmt, ihr politisches Profil, die Sprüche ihrer Anführer, dem muss ein solch politisch seelenloses, kaltes und nacktes Funktionärsprodukt fremd sein.

Merkel ist das egal, wenn’s ihren Sessel im Kanzleramt sichert, Schulz ist’s gleichgültig, wenn er (besoldeter) Parteivorsitzender bleibt. Mit den Mitgliedern einer Jamaika-Regierung, den ebenfalls lukrativ ausgestatteten Mitgliedern der Fraktionsführungen verhält sich das nicht anders, mit den vielen affiliierten Mitarbeitern und Journalisten ebenso. Jamaika würde die schon bestehende Mehrfach-Spaltung weiter vertiefen – kulturell, gesellschaftlich, sozial und regional. Gerade nach dieser Wahl braucht das Land alles andere als eine Spalter-Regierung. Aber vielleicht kriegen wir sie, damit ihr vorzeitiges Platzen Frischluft in das gelähmte und eingeschläferte Volk bringt. Machen wir uns auf alles gefasst, vorerst auf nichts Gutes.

Übrigens wird am 15. Oktober in Niedersachsen der Landtag gewählt (in Österreich der Nationalrat) – und am 6. Mai 2018 sind in Schleswig-Holstein Kreistage, Stadt- und Gemeindevertretungen dran.

Fußnote: Spalterregierung nannte die kommunistische Propaganda die erste Regierung der Bonner Republik, als Moskau und Pankow noch von Gesamtdeutschland sprachen.

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